25. 9. 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung

Schillernde Grauzonen im Schatten der westlichen Anmutung

Berlin riskiert einen Blick hinter die Hochhauskulissen der chinesischen Metropolen: Auch außerhalb von Hongkong und Schanghai wird Staunenswertes gebaut

Die chinesischen Behörden reagierten mit völligem Unverständnis, als ihnen das Konzept einer Architekturausstellung und eines Symposions vorgestellt wurde, mit der im Rahmen der diesjährigen Berliner Asien-Pazifik-Wochen das Werk einiger junger Architekten präsentiert wird. Ein riesiges Modell zu verschiffen wäre kein Problem gewesen, das etwa am Beispiel von Shanghai die enorme wirtschaftliche Dynamik und den damit verbunden Bauboom zeigen könnte. Das Publikum in Berlin hätte sich die Augen gerieben und mit ungläubigem Staunen registrieren müssen, daß allein in Shanghai dreitausend neue Hochhäuser seit 1992 entstanden, im selben Zeitraum also, als Berlin schon in Erwartung einiger harmloser 150-Meter-Gebäude in schwindliges Taumeln geriet.

Aber den merkwürdigen Deutschen kam es auf etwas ganz anderes an. Unter dem Titel "TU MU", der chinesischen Bezeichnung für Baukunst, die sich aus Erde (TU) und Holz (MU) zusammensetzt, stellen die Kuratoren Ulf Meyer und Eduard Kögel in der Galerie Aedes eine Auswahl junger Architekturbüros vor, deren Arbeiten auf dem ersten Blick auch in Rotterdam, der Schweiz und sogar in Berlin stehen könnten. Vom Architektureldorado China, das westliche Beobachter seit einigen Jahren elektrisiert, ist nichts zu sehen, die meisten Projekte scheinen weit abgeschieden in reizvoller Umgebung zu liegen und nebenbei das Klischee eines irgendwie anderen, eben "typisch chinesischen" Dialogs von Bauwerk und Landschaft zu erfüllen.

Erst das am vergangenen Samstag veranstaltete Symposion rückte die Perspektive zurecht. Neben den bei Aedes vertretenen Architekten nahm auch Zheng Shiling, der Vorsitzende der Architektenkammer von Shanghai daran teil und zeigte genau das, was beim Stichwort China zu erwarten war. Ein internationaler Architekturwettbewerb jagt den anderen, die Städte schießen in die Höhe und wuchern in die Breite, die Welt blickt auf China und China ist stolz auf die imposante Liste der im Lande tätigen internationalen Architekturbüros. Die wohlproportionierten Werken seiner im Raum versammelten Kollegen erwähnte Zheng, dessen sein Beitrag laut Programm gar nicht vorgesehen war, mit keiner Silbe. Es wurde immer deutlicher, daß die vermeintlich unspektakuläre Architekturausstellung ein politisch hochsensibles Thema behandelt, denn sie zeigt die Grauzonen halblegaler Selbständigkeit, die von offizieller Seite geduldet werden müssen, weil das noch immer dominierende Planwirtschaftsdenken allmählich die Kontrolle verliert. Fast keiner der anwesenden Architekten dürfte eigentlich unter eigenem Namen seine Werke vorstellen, da die staatlichen Planungsinstitute den Markt dominieren und in ganz China nur eine Handvoll privater Architekturbüros zugelassen sind.

Was bei Aedes zu sehen ist, sind zwar keine Dissidenten oder mögliche Oppositionelle, wohl aber die Resultate einer vorsichtigen Liberalisierung, deren Auswirkungen noch nicht abzusehen sind. Neben einigen verschrobenen Einzelgängern, die sich überraschenderweise kaum von den hiesigen Künstler-Architekten unterscheiden, ist vor allem die große Zahl an Hochschulbauten ein Hinweis auf den gegenwärtigen Wandel in China. Der Ausbau der Universitäten umfaßt auch deren Architekturabteilungen. Die neu eingerichteten Professuren werden häufig an junge, im Ausland ausgebildete Architekten vergeben, die dadurch nicht nur die Möglichkeiten erhalten, die verkrustete Ausbildungssituation zu reformieren, sondern bei den zahllosen Universitätsneubauten auch selbst zum Zuge kommen. Daß dabei bisweilen ein "strahlend weißes Meisterwerk mit überraschenden räumlichen Qualitäten" entstanden ist, von dem der Katalog berichtet, mag sicherlich zutreffen, nur ist den sichtlich begeisterten Autoren leicht das fragile Spannungsfeld von Direktive und Eigeninitiative aus dem Blick geraten, in dem solche Bauten entstehen konnten.

Wer darin zuwenig "chinesisches" entdecken kann, bekam zur zweiten Hälfte des Symposions zu spüren, wie eigenwillig der offizielle Weg zur architektonischen Supermacht verläuft. Drei Vertreter aus niederländischen und deutschen Architekturbüros schilderten den undurchschaubaren Verlauf einiger Wettbewerbe an denen sie teilgenommen hatten. In ständiger Unsicherheit der architektonischen Kriterien, die der Moderator Wilfried Wang auch auf dem Podium vergeblich beim offiziellen Vertreter Chinas nachfragte, pendelten ihre Entwürfe zwischen den Extremen westlicher Technologie und vermeintlich chinesischen Attributen. Besonders das Scheitern eines Entwurfs aus Rotterdam machte deutlich, das der spaßhafte niederländische Umgang mit Verkehrsinfrastruktur die Juroren völlig überforderte. Nicht westliches Denken, sondern vordergründig westliche Erscheinung sollen dem rasanten Architekturtempo die notwendige internationale Anerkennung verschaffen.

Allein in einer Frage waren sich die Architekten aus den Büros ABB, Kees Christiaanse und Ashok Bhalotra einig: Wer in China bauen möchte, muß in anderen Dimensionen denken. Ganze Stadtteile mit genau bezifferter Einwohnerzahl zu errichten, sprengt jede Erfahrung. Dass dabei oft völlig unangemessen scheinende Monumental-Entwürfe entstehen, scheint in China ausdrücklich erwünscht zu sein. Darauf den Blick zu lenken, wird in nächsten Zukunft genauso notwendig sein, wie die Aufmerksamkeit gegenüber jener vitalen, halblegalen Szene, die bei Aedes TU MU, die Baukultur, emporhält.

Oliver Elser

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