28. 8. 2000 | Frankfurter Allgemeine Zeitung / Berliner Seiten


Häuser, die mehr erzählen als die Litanei des Profits

Der bauende Rationalist und Theoretiker Oswald Mathias Ungers spricht im Neuen Museum

Es könnte leicht sein, daß es einem heute abend ganz schwarz wird vor Augen, denn wenn Oswald Mathias Ungers zu einem seiner seltenen Vorträge anreist, ist mit einer maximalen Architektendichte im Saal zu rechnen. Allein die Menge seiner in Berlin tätigen Schüler dürfte die Tribüne im Lichthof des Neuen Museums an den Rand des Einsturzes bringen, doch Ungers hat sich nicht nur Verehrer sondern auch zahllose Feinde geschaffen, die es sich nicht nehmen lassen werden, etwas über die "Hintergründe" zu erfahren, die der Vortragstitel verspricht.

Ungers steht mit Recht am Ende einer Reihe von Theoretikern, die im Rahmen der großen Retrospektive zur Architekturgeschichte Berlins von 1900 bis 2000 im Neuen Museum das Wort erhielten. Ihm gebührt das Schlußwort, denn wie kein Zweiter hat Ungers seit den sechziger Jahren die Diskussion in dieser Stadt geprägt.

Angefangen hatte es an der Technischen Universität, die den fast vierzigjährigen Ungers 1963 zum Professor berief. Noch heute kursieren Entwürfe aus dem Ungers-Seminar, die zwar gänzlich dem sozialtechnologischen Wahn des Märkischen Viertels verfallen waren, wo Ungers gleichzeitig seinen ersten größeren Bau errichtete, in denen sich aber eine Radikalität des Denkens ankündigt, die weit aus der nachkriegsdeutschen Mittelmäßigkeit heraussticht. Welche der unzähligen Wohnmaschinen der sechziger Jahre kann es schon mit der radikalen Eleganz des "Sozialpalastes" an der Pallasstraße aufnehmen, die sein Meisterschüler Jürgen Sawade noch gerade eben vor dem Herandämmern einer neuen Behaglichkeit 1972 realisieren konnte? Ungers selbst hatte zu diesem Zeitpunkt, verschreckt vom postrevolutionären Seminar-Marxismus an der TU, der Stadt den Rücken gekehrt, konnte aber als ideeller Schirmherr der Vorbereitung einer "Internationalen Bauausstellung" auch von seinem Lehrstuhl an der Cornell University in Ithaka, New York, seinen Einfluß in Berlin weiter ausbauen. Unter anderem zählte Hans Kollhoff dort zu seinen Studenten und Rem Koolhaas zu den Mitarbeitern an einer Studie für Berlin. Fast wäre Ungers, und nicht Josef Paul Kleihues, zum Direktor der IBA geworden, doch Ungers zögerte und blieb weiter als Lehrer und Stichwortgeber im Hintergrund. Daß die Widrigkeiten der Praxis ihm ein Greuel sind, ist vielen seiner Bauten anzumerken, die schließlich wieder ab Anfang der achtziger Jahre in immer schnellerer Folge entstanden. Nicht immer gelang ihm in der Realität, wodurch er sich in der Architekturtheorie mit seiner "Forderung nach einer Thematisierung der Architektur" seinen Platz erwarb. Bauten, die "thematisiert" werden, erzählen von etwas, das außerhalb ihrer physischen Präsenz liegt, sie tragen, in Ungers Worten, dazu bei "die Umwelt aus der pragmatischen Realität in die metaphysische Welt der Ideen zu transformieren". Der von Ungers gebaute "Block 205" zwischen Friedrichstraße und Gendarmenmarkt etwa möchte von etwas anderem erzählen, als davon, ein Nachwende-Spekulationsobjekt mit maximaler Profitrate zu sein, könnte man übersetzen. Und in der Tat, wer zu abstrahieren vermag, der wird dort mehr als das entdecken.

Oliver Elser

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