21.10.2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung

Ein Schwipserl soll man haben
Kapriziöser Eingang in eine alberne Unterwelt: Der Architekt Steven Holl baut für das weinselige Langenlois


Stürmen plötzlich ganze Jumboladungen voll Touristen in die Provinz, weil dort ein weltbekannter Architekt ein spektakuläres Gebäude errichtet hat, so nennt man dieses Phänomen seit einigen Jahren den "Bilbao-Effekt". Mit dem Versuch, den Erfolg seiner Dependance im nordspanischen Baskenland in anderen Weltregionen zu kopieren, ist der Museumsgigant Guggenheim zwar mittlerweile in die Knie gegangen, aber den Architekten Frank Gehry kümmert's nicht weiter, braucht er sich doch um volle Auftragsbücher seither keine Sorgen zu machen. Doch es muß ja nicht immer Gehry sein. Rund um den Globus träumen Kommunalpolitiker und lokale Wirtschaftsgrößen von Bilbao und davon, was für einen Segen doch ein einziger Neubau bewirken kann. Auch in Österreich, wo der Architekturstandard so hoch ist, daß einen in verschlafenen Städtchen futuristische Supermärkte anblinken und die Menschen es sogar auf dem Lande zu mögen scheinen, sich und ihre Geranien in Wohnungsbauten aus Sichtbeton, Lochblech und geätztem Glas anzusiedeln, auch hier gilt das Gesetz, daß für die wirklich wichtigen Bauten ein internationaler Großmeister eingeflogen wird.

In Langenlois, einer kleinen Stadt mit großer Weinbautradition, rund eine Autostunde nordwestlich von Wien, fiel die Wahl auf den Amerikaner Steven Holl. Er bekam den Auftrag, in reichlich knapp bemessener Zeit ein Besucherzentrum über den nicht mehr benötigten Weinkellern zu errichten, die zum Teil schon vor Jahrhunderten wie Bergwerksstollen in den Weinhügel am Ortsrand getrieben wurden. Die Besitzer des unterirdischen Labyrinths, drei Weingüter mit Ruf und Ambitionen, waren schon seit längerem damit beschäftigt, aus den Lagerräumen eine Touristenattraktion zu machen. Was noch fehlte, war ein weithin sichtbares Eingangsgebäude. Eine Aufgabe, wie Architekten sie sich nur wünschen können. Ein Gebäude, das ein fast leerer Raum sein darf, ein Behälter, der sich selbst genug ist.

Doch nur um den Preis, daß es dafür in der Unterwelt umso wilder zur Sache geht. Wo die Architektur Steven Holls endet, in einem Gang tief unten im Weinberg, beginnt die Hölle des Eventmarketings. Einfach nur Wein anbauen und Besuchern die Möglichkeit geben, ein Glas zu probieren und eine Kiste zu kaufen, das kann jedes x-beliebige Weingut bieten, wird man sich gedacht haben und dann auf die Idee verfallen sein, die "Erlebniswelt Loisium" in den Kellern zu installieren. Wie der Name schon andeutet, läßt sich dort so einiges erleben, nur nicht das eigentlich naheliegendste, wie nämlich aus Trauben Spitzenweine gekeltert und vergoren werden. Diese Prozesse finden einerseits nur saisonal statt und außerdem für das Laienauge unsichtbar im edelstahlglänzenden Röhrengewirr einer kleinen Weinraffinerie. Hier würde der Besucher ohne fachkundige Unterweisung etwa soviel verstehen, wie der normale Autofahrer beim Blick unter die Motorhaube. An die Stelle des Vermittlers tritt im "Loisium" ein Event- und Erlebnisspezialist, die Firma Steiner Sarnen aus der Schweiz. Mal sollen die Besucher sich fühlen "wie junger Wein" und stehen vor einem Springbrunnen, aus dem zu Trockeneisnebel und jazzigen Klängen ein Dionysos auftaucht. Dann darf in die freigelegte Löß-Erde des Weinbergs etwas hineingekratzt werden, man trifft auf rostiges Kunstgewerbe, das hiesige Weinmythen darstellen soll und irgendwo zwischendrin stehen sogar ein paar echte hölzerne Fässer, an denen ein Schlückchen verkostet werden kann. Jede beliebige Geisterbahn hat eine klarere Vorstellung von Inhalt und Dramaturgie. Das einzige, was in den Kellern wirklich beeindruckt, sind die Keller selbst, deren bauliche Substanz zu Glück kaum angetastet wurde.

Vielleicht entsteht die emotionale Bindung des Kunden an die Weine aus Niederösterreich ja auch erst beim Wiedereintritt in die Oberwelt. Aus Dankbarkeit, wieder in der kultivierten Hülle von Steven Holls Gebäude gelandet zu sein, wo das Spiel mit den Zeichen so unendlich viel präziser beherrscht wird. Auch wenn er behauptet, das Haus sei aus denselben Materialien wie eine Weinflasche gebaut, zitiert Holl seine Vorlage sehr dezent. Grüngetöntes Glas, dem manche Weinstube ihre schummrige Gemütlichkeit verdankt, gibt es nur an wenigen Stellen. Der Korken erfährt eine Transformation zur Wandverkleidung und die in Österreich auf Weinflaschen obligatorische Aluminiumkapsel, nun ja, irgendwie muß der Architekt sein Fassadenmaterial ja rechtfertigen. Treppen und offene Emporen sind wie in einem leichten Rausch ineinander verschränkt, der harte Sichtbeton wird von den Korkwänden abgefedert und die unregelmäßigen Öffnungen zersägen die tragende Hülle des Würfels an so heiklen Stellen, daß man sich ums statische Gleichgewicht zu sorgen beginnt. Das gezackte Muster an der Fassade entnahm der Architekt der Unterwelt, es entspricht dem Grundriss der Lagerstollen. Wenn das "Loisium" den gewollten Effekt erzielt und die Touristen kommen, dann erhält Steven Holl den Auftrag, nebenan noch ein Hotel zu bauen. An ihm wird es nicht scheitern.

Oliver Elser

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