Gespensterbilder - Ghost Pictures | Text zur Ausstellung von Eva Castringius im Martin-Gropuis-Bau, Berlin 2000
Das elektrische Licht, die Fotografie, und die Architektur der Moderne sind Geschwister, Kinder derselben Zeit. Nimmt man noch das einige Jahrzehnte jüngere Automobil dazu, dann entsteht wie von selbst das Portrait der Großstadt des zwanzigsten Jahrhunderts. Dieser Satz ist wahr, solange ich ihn in Berlin auf meinem Monitor sehe. Jetzt, an einem geborgten Schreibtisch in Wien, klingt er wie eine Beschwörungsformel. Statt "Geschwister" lese ich "Gespenster" und bin überrascht, wie gut das passt, wenn ich mir Eva Castringius’ Fotos anschaue. Es sind freundliche Gespenster des zwanzigsten Jahrhunderts darauf zu sehen – die knochenbleichen Fassaden der Berliner Karl-Marx-Allee, das zum Wirtschaftswunderwagen umfrisierte Kraft-durch-Freude-Auto, der Familienpanzer aus Schwedenstahl, die handgeformten Neonzeichen der industrialisierten Diner-Restaurantbetriebe. Auch hier in Wien konnte man in den sechziger Jahren eine Dia-Serie kaufen, die die Stadt bei Nacht zeigte, nur war es die alte Stadt, historische Baudenkmäler in Natriumdampflampenlicht, das überall dieselbe Athmosphäre schafft, weil es "das [Farb-] Spektrum verfickt", wie die Nachkriegs-Jugendlichen in Julian Barnes’ Metroland enttäuscht feststellen. Die Neon-Szenen in Los Angeles und Berlin hingegen sind Momentaufnahmen einer anderen Realität, in ihnen erfährt die Moderne ihre "blaue Stunde". Licht, Himmel und Architektur entfachen einen Postkartenzauber, in dessen utopischer Welt die Zukunftsversprechen der abgebildeten Bauten noch einmal aufleuchten dürfen.

Oliver Elser

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