Heft 7/8 | Juli/August | 2001 | werk, bauen + wohnen


Kalkulierte Transparenz

DG-Bank von Frank O. Gehry in Berlin

Just im dem Moment, da die bautechnischen Schwierigkeiten überwunden sind und das Gebäude endlich fertiggestellt ist, wird die Eröffnung immer weiter hinausgeschoben: Der Bauherr, die DG-Bank, ist in Turbulenzen geraten. Die Risikorücklage für gefährdete Kredite mußte im Jahr 2000 um eine Milliarde DM erhöht werden, Fusionsgerüchte machen die Runde, der Vorstandsvorsitzende tritt zurück. Ein schlechter Zeitpunkt also, ein Gebäude offiziell in Betrieb zu nehmen, das so klar strukturiert ist wie eine Werbebotschaft.

Was eigentlich ist die DG-Bank? Die Antwort auf diese Frage ist der Schlüssel zum Verständnis der regelrecht maßgeschneiderten Architektur Frank Gehrys, dessen Entwurf sich mit einem Höchstmaß an Präzision in das bereits seit langem gepflegte Image des Konzerns einfügt. Es ist daher kein Wunder, dass der Konzern jetzt, da sein Image einige Kratzer abbekommen hat, zögert, das längst bezogene und bereits in der Öffentlichkeit kommunizierte Haus einzuweihen und lieber auf günstigere Umstände wartet.

Die DG Bank Deutsche Genossenschaftsbank, Frankfurt/Main, wie der volle Name lautet, ist keine Publikumsbank mit Filialnetz, Geldautomaten und allem, was sonst dazu gehört. Als sogenanntes Spitzeninstitut der genossenschaftlichen Banken arbeitet sie als eine Art Zentralbank für die rund 2000 lokalen Volks- und Raiffeisenbanken in Deutschland. Im Ranking der deutschen Großbanken liegt sie auf dem achten Platz und zählt im internationalen Vergleich zu den Top 100. Aufgrund ihrer besonderen Stellung als eine im Alltag quasi "unsichtbare", weil nirgends lokalisierbare Bank, betreibt die DG-Bank seit Jahren mit hohem finanziellen Aufwand eine PR-Strategie, die darauf angelegt ist, ihr auch außerhalb der Bankenwelt ein Gesicht zu verleihen. Den Schwerpunkt der Aktivitäten bildet der Aufbau einer der umfangreichsten Sammlungen der Gegenwarts-Fotografie, womit sie wenigstens auf kulturellem Terrain direkt mit der Nr. 1 in der Bundesrepublik, der Deutschen Bank, konkurriert, die ebenfalls über eine große Kunstsammlung verfügt und jüngst der Stadt Berlin eine Filiale des Guggenheim-Museums spendierte. Bildende Kunst allein ist jedoch noch kein ausreichendes Distinktionsmerkmal, denn allein am Pariser Platz setzt auch das vis-à-vis, die Dresdner Bank, auf Kunst und die benachbarte Berliner Bankgesellschaft betreibt im etwas steifen Rahmen eines Gebäudes von Josef Paul Kleihues eine kleine Ausstellungshalle; zudem entsteht direkt neben der DG-Bank die Akademie der Künste, die, nach langen Querelen um die Glasfassade, derzeit von Günter Behnisch gebaut wird.

In der "Finanzhauptstadt Frankfurt", dem Stammsitz der DG-Bank, trat das Unternehmen Anfang der neunziger Jahre mit einem für dortige Verhältnisse spektakulären Bau der Architekten Kohn Pedersen Fox Associates aus der Reihe der übrigen Hochhäuser hervor. Das 53-geschossige Gebäude setzte nicht nur mit seiner "Krone" einen selbstbewußten Akzent in der bis dahin architektonisch reizarmen Skyline, sondern war zugleich das erste Hochhaus der Stadt, das mit einem Atrium amerikanischer Prägung den öffentlichen Raum in den Sockel hineinholte und dem Unternehmen eine oft genutzte Bühne zur Selbstdarstellung bietet. Als die Bank nach dem Mauerfall Ansprüche auf ein von der DDR enteignetes Grundstück am Pariser Platz geltend machen konnte, forcierte sie ihre bisherige Architekturstrategie unter den selben Prämissen: Wieder wurde - nach einem Wettbewerbsverfahren - ein international gefragter Architekt engagiert und wieder lautete die Aufgabe, ein "offenes" Haus zu errichten. Dass die Wahl gerade auf Frank Gehry fiel, ist vielleicht nicht allein damit zu erklären, dass Gehry bereits zu diesem Zeitpunkt ein auch dem breiten Publikum bekannter Architekt war. Wer vor dem Hauptsitz der Bank in Frankfurt die riesige Skulptur einer aufflatternden Krawatte von Claes Oldenburg and Coosje van Bruggen sieht, wundert sich nicht, dass das Unternehmen auch bei seinem nächsten Bau einen Hauch amerikanischer Coolness wünschte um sein Auftreten als Global Player mit einer gewissen Lässigkeit zu verbinden. Gehry und Oldenburg verbindet darüber hinaus ein ganz ähnliches formales Interesse, das sich in gemeinsamen Projekten äußert (Werbeagentur Chiat/Day in Venice, Kalifornien) oder, in diesem Fall, in einer gewissen Ähnlichkeit der gewundenen Stoffkrawatte zu Gehrys Konferenzraumverkleidung im Innenhof der DG-Bank in Berlin.

Zunächst aber sah es so aus, als könnte Gehrys Architektur kaum als Unterscheidungsmerkmal wirksam werden, denn das Berliner Abgeordnetenhaus erließ 1995 eine strikte Gestaltungssatzung für den Pariser Platz. Der Wortführer des "steinernen Berlin", der sozialdemokratische Senatsbaudirektor Hans Stimmann, hatte sich mit seinen vehementen Plädoyers gegen den "hemmungslosen, stadtzerstörerischen Individualismus heutiger Architekten" durchgesetzt und diktierte für den Pariser Platz die Materialwahl und das Verhältnis von offenen und geschlossenen Wandflächen der Fassaden. Während die übrigen Architekten der von Stimmann postulierten "Berlinischen Architektur" in die Arme liefen und sich krampfig bemühten, in Art déco, Rationalismus oder Klassizismus ein Vorbild für die Fassade zu finden, gewann Gehry den Wettbewerb mit einem Entwurf, der die Vorgaben buchstabengenau in Architektur übersetzte. Statt seine Lösung durch historische Verweise zu legitimieren, setzt Gehry auf die Wucht des Materials. Seine Fassade fügt dem Begriff "Transparenz" neben den von Slutzky und Rowe herausgearbeiteten Bedeutungen "literal" und "phenomenal" eine neue Facette hinzu, indem sie ihre Entstehungsbedingungen durchscheinen läßt: 50% Glas und 50% Sandstein waren gefordert, also baut Gehry eine fast grobe fifty-fifty-Fassade, die nichts anderes "transparent macht", als die Realisierung eben dieses Verhältnisses. Die Glasfelder werden bis zur maximal bei einem Bürogebäude vertretbaren Größe aufgerissen und folglich müssen auch die umgebenden Steinflächen ein Maximalmaß ausfüllen. In dieser Radikalität zeigt sich Gehry als kluger Taktiker, der mit Vorgaben zu jonglieren vermag, als guter Architekt indes erweist er sich, indem er das Steinskelett nicht durch ärgerliche Fugen zerstört, sondern aus den größtmöglichen Quadern errichtet. Seit Mies van der Rohes Nationalgalerie ist in Berlin keine Architektur entstanden, die das Material derart zelebriert, nur ist es hier der Stein, der an die Grenzen des bautechnisch möglichen getrieben wird.

Die Fenster konterkarieren den monumentalen Gestus der tiefen Steinfassade mit einer leicht geschwungenen Figur, die nur von der Seite erkennbar ist. Ein subtiler Hinweis darauf, wie Gehry bei seinen übrigen Bauten mit der Außenhülle umzugehen pflegt.

Das Innere der Bank wird in vielen bisher erschienenen Kritiken als der Ort des eigentlichen Architekturspektakels beschrieben, wohingegen die Fassade als Tribut an die Berliner Verhältnisse gedeutet wird. Aus der Perspektive des Nutzers betrachtet, sind die Restriktionen nur von geringer Bedeutung, wenn nicht sogar im Gegenteil ein äußerst willkommener Anlaß, die gesamte Aufmerksamkeit auf das Innere zu lenken, denn wie schon in Frankfurt soll die Öffentlichkeit in das Gebäude hineingezogen, der Konzern "transparent gemacht" werden. Die Schwelle, ab der der Besucher sich erklären muß, ist weit nach innen gerückt. Ein erstes, leeres Foyer kann von jedem betreten werden, erst kurz vor dem an dieser Stelle bereits einsichtigen Innenhof wird eine ID-Karte oder die Einladung zu einer Veranstaltung verlangt. Wer einer bestimmten, aus der Sicht der Bank interessanten Öffentlichkeit angehört, hat genügend Anlässe, noch weiter in das geheimnisvoll erscheinende Herz vorzudringen. Der Konferenzraum unter der gewundenen Metallhaut und das große Foyer im Untergeschoss werden von einer eigenen Betreibergesellschaft an Unternehmen wie den Holtzbrinck-Medienkonzern vermietet, der dort Tagungen für Journalisten und andere "Multiplikatoren" veranstaltet. Wenigstens als Fernsehzuschauer kann man jeden Sonntagabend dabei sein, wenn Lothar Späth, ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg, jetziger Vorstandsvorsitzender der Jenoptik AG und "Unternehmer des Jahres 1998", zu seiner Talkshow einlädt, die auf dem (Börsen-) Nachrichtenkanal n-tv übertragen wird. Zu Beginn und nach jeder Nachrichtenunterbrechung begrüßt Späth das Publikum mit dem Satz "Willkommen bei 'Späth am Abend' aus dem Haus der DG-Bank am Pariser Platz in Berlin". Den Auftakt zur medialen Präsenz des Gebäudes bildete im letzten Jahr die fünfstündige "Milleniumssendung" des Zweiten Deutschen Fernsehens, gesendet ebenfalls aus dem Foyer der DG-Bank.

Gehrys Raummanagement ist perfekt auf den Bedarf an unterschiedlich qualifizierten Repräsentationsflächen abgestimmt: Das auch als Kantine genutzte Foyer liegt unter einer gewölbten Glasfläche, wodurch es akustisch vom Innenhof entkoppelt wird und ist groß genug, um selbst die Jahreshauptversammlung der Bank zu fassen. Der technisch hochgerüstete Konferenzsaal, eigentliches Markenzeichen des Hauses und Vorbild eines Pokals, der von der Bank verliehen wird, ist einem kleinen, noch exklusiveren Publikum vorbehalten und selbst von den Büros schwerlich einsehbar. Für wirklich vertrauliche Versammlungen gibt es im Sichtbetonsockel der skulpturalen Form noch einen abhörsicheren Raum, der ebenfalls mit der neuesten Konferenztechnik bestückt ist.

Auch die profanen Büros, die sich hinter breiten Holzverkleidungen um dem Innenhof gruppieren, beteiligt Gehry an der "Öffentlichkeit" des Gebäudes. Vor jedem der klassischen Zellenbüros liegt ein kleiner Balkon. Die Idee könnte aus einem Marthaler-Stück stammen: Beim dröhnenden Schlag auf die Metallhaut des Konferenzsaales erschienen die Angestellten auf den Balkonen und begännen zu singen. Nicht wenige Mitarbeiter lassen bei so viel baulich eingeräumtem Gemeinschaftsgefühl ihre Jalousien herunter, auf die Gehry lieber verzichtet hätte.

Die Räume der ausschließlich internen Repräsentation sind vergleichsweise bescheiden. Der Vorstandsbereich im vierten Stock unterscheidet sich durch Ausstattungsdetails, höhere Räume und den direkten Blick auf den Pariser Platz, aber die Vorstände sind ohnehin nur gelegentlich in der Niederlassung für Berlin und die östlichen Bundesländer anwesend. Die Entscheidungen fallen in Frankfurt, die DG-Bank in Berlin hingegen ist ein Kommunikationswerkzeug, das bei Bedarf herangezogen, oder eben auch zurückgehalten wird.

Oliver Elser

Copyright beim Autor


zurück



Hinweis


Der Text ist die Manuskript-, nicht die Druck-Fassung. Bitte die Entnahme wörtlicher Zitate an der Druckfassung abgleichen. Diese kann beim Autor bestellt werden.