Heft 39 | September | 2000 | Texte zur Kunst
BAULÄRM: Die tun was
"Autostadt", Wolfburg
Im Nachwort zur schwedischen Ausgabe seiner "Kritik der Warenästhetik" erwähnt Wolfgang Fritz Haug, dass "der Volkswagen-Konzern aufgrund der Absatzkrise in aller Hast versucht [habe], durch weitgehend ästhetische Innovation seiner Modelle ‚Kaufimpulse ausgehen zu lassen' - übrigens mit Erfolg".#A1 Das Buch erschien 1975. Die Modelle, auf die sich Haug bezieht, den "Golf" und den "Scirocco", waren im Jahr zuvor in die Produktion gegangen. Haug sah in ihnen einen weiteren Beleg dafür, dass der Kapitalismus zur Steigerung des Tauschwertes ein "ästhetisches Gebrauchswertversprechen" entwickeln musste, um für einen anhaltenden Absatz der Produkte zu sorgen, nicht nur, aber insbesondere auch in ökonomischen Krisensituationen. Fünfundzwanzig Jahre später entsteht in Wolfsburg, neben dem Stammwerk von Volkswagen, die "Autostadt". Die Situation ist ähnlich: Anfang der neunziger Jahre erfasste die allgemeine Rezession auch VW, die Vier-Tage-Woche wurde eingeführt, Entlassungen drohten. Der Konzern setzte zur Krisenbewältigung auf mehrere Strategien: Zwei äußerlich neue Modelle, der "Audi TT" und der "New Beetle" gingen in Serie, beides "weitgehend ästhetische Innovationen" im Sinne Haugs auf der bewährten Golf-Basis. Gleichzeitig wurde mit dem "Lupo" eine technologische Innovation entwickelt, der 3-Liter-Motor. Und parallel entstand mit der "Autostadt" in Wolfsburg und der in Dresden geplanten "gläsernen Manufaktur" ein neues Vertriebskonzept. In Zukunft wird den Kundinnen angeboten, ihr Fahrzeug in Wolfsburg beziehungsweise Dresden abzuholen und dadurch einen Teil der Überführungskosten zu sparen. Andere Autokonzerne wie etwa Porsche bieten diese Möglichkeit bereits seit längerem an. Doch nur bei VW werden die Käuferinnen in einer eigens dafür errichteten "Stadt" empfangen, für die der Konzern allein in die Baukosten nach eigenen Angaben 850 Millionen Mark investierte. Der Zweck dieser immensen Aufwendung stieß selbst in Wirtschaftskreisen auf Unverständnis. Im Wirtschaftsteil der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschien zur Eröffnung der "Autostadt" ein Artikel, der dem Unternehmen vorwarf, ein ökonomisch sinnloses Projekt zu verfolgen, das am Interesse der Kundinnen vorbeiginge.
Die Präsentation von "Städten" durch Automobilkonzerne hat eine Tradition, die in die Anfangszeit der Massenproduktion zurückreicht. Der französische Automobilhersteller Voisin finanzierte Le Corbusier die Planung einer autogerechten Hochhaus-Stadt auf dem Terrain des fast vollständig ausgelöschten Zentrums von Paris, den "Plan Voisin". Eine amerikanische Version dieses Plans wurde auf der New Yorker Weltausstellung 1939 gezeigt. Dort stellte die Firma General Motors das Modell einer "Stadt im Jahre 1960" vor, in der ebenfalls der Verkehr dominiert, die Hochhäuser aber keinem absolutistischen Idealbild folgen wie bei Le Corbusier, sondern das freie Spiel des Marktes darstellen. Auch Wolfsburg, 1937 von der "Deutschen Arbeitsfront" als "Stadt des KdF-Wagens" gegründet, war von Beginn an als "Autostadt" konzipiert. Auf dem Werksgelände sollte es sogar ein Hotel geben, um die schon damals anvisierten "Selbstabholer" des "KdF-Wagens" unterzubringen. "Das Volkswagenwerk wäre auf diese besondere Weise unter den Pilgerstätten aufgerückt, die das Regime außerhalb Berlins, Münchens und Nürnbergs einzurichten begann (...)".#A3 Als Pendant zur bezwingenden "Kilometerarchitektur"#A4 der Werksfassade am Mittellandkanal, die an das KdF-Projekt "Seebad der 20.000" in Prora/Rügen erinnert, folgt der Stadtgrundriss einem organischen Muster, das ganz auf die Erfordernisse der künftigen "Volkswagen"-Fahrerinnen zugeschnitten war. Die Leitbilder des Nachkriegsstädtebaus klangen hier bereits an und konnten durch personelle Kontinuitäten im Stadtplanungsamt auch konsequent weiter verwirklicht werden.
Von diesem Teil der Werks- und Stadtgeschichte ist in der neuen "Autostadt" an keiner Stelle die Rede. Nirgends ist davon zu erfahren, dass Wolfsburg unter dem Namen "Stadt des KdF-Wagens" auf dem Reißbrett entworfen wurde, um eine neue industrielle Elite anzusiedeln. Das in "ZeitHaus" umbenannte und von der Wolfsburger Peripherie in die "Autostadt" verlegte werkeigene "Auto-Museum" erwähnt zwar die während des Zweiten Weltkriegs ausgebeuteten Zwangsarbeiterinnen. Doch mit den Produkten, die zu dieser Zeit im Werk produziert wurden, will die Volkswagen AG so wenig etwas zu tun haben wie mit der Genese des Firmenlogos "VW" aus dem "Kraft durch Freude"-Signet. Ein "Kübelwagen", die militärische Version des nur kurze Zeit produzierten "Kdf-Wagens", fehlt ebenso in der Ausstellung des ZeitHauses wie die zur selben Zeit im Wolfburger Werk produzierte Flugbombe "Vergeltungswaffe 1", besser bekannt unter dem technisierenden Kürzel "V1". Auch der aktuelle Zweig der Rüstungsproduktion, der für die Bundeswehr hergestellte Geländewagen Iltis, bleibt unerwähnt.
Auf dem Gelände der "Autostadt" herrscht Hausrecht, und damit liegt die Definitionsmacht über Geschichte, Gegenwart und Zukunft beim Konzern. Wer vor einem Besuch der "Autostadt" den kiloschweren Presseordner studiert, wird sich angesichts der Akribie, mit der das Projekt bis ins letzte Detail mit Bedeutung aufgeladen wurde, eines Schauderns kaum erwehren können. Volkswagen, so scheint es, hat alles bedacht und arbeitet nur mit den Besten der jeweiligen Disziplinen zusammen. Der zuvor durch etliche Bauten der Max-Planck-Gesellschaft bekannt gewordene Architekt Gunter Henn schuf den "Masterplan" und die Architektur, die Mövenpick-Kette sorgt für die Bewirtschaftung der diversen Restaurants, für das Kinoprogramm konnten einige Stars des "neuen deutschen Films" eingekauft werden und für die Kunst Gerhard Merz, Ingo Günther, Nicolas Anatol Baginsky und Matt Mullican#A4a. An keiner Stelle im Pressematerial wird indes erwähnt, dass der Autor und Koordinator dieser fast schon totalitären Unternehmung nicht VW alleine ist. Um nicht den Eindruck des geballten Gestaltungswillens der Volkswagen AG zu schmälern, bleibt der wichtigste Berater für die Gesamtkonzeption ungenannt, das auf die Errichtung von Entertainment-Centern spezialisierte amerikanische Unternehmen Jack Rouse Associates.
In der bisherigen Rezeption der Autostadt im Feuilleton von Zeit, Süddeutscher Zeitung, Frankfurter Rundschau, Frankfurter Allgemeiner Zeitung und der tageszeitung ist das Konzept der "Autostadt" als Gesamtkunstwerk voll aufgegangen. Ob sich die Autoren nun über die "Spiritualität des Konsums"#A5, die "kapitalistische Kultreligion"#A6 oder das "Weltverbesserungsprojekt"#A7 amüsieren oder nicht: Die Botschaft von Volkswagen, in der Autostadt passiere mehr als plumpe Produktpräsentation, wird ernst genommen: "Jeder Museumsdirektor, Künstler und Kurator muss diese Autostadt gesehen haben", damit er sieht, "womit er künftig zu konkurrieren hat".#A8 Die kulturelle Überschussproduktion in der "Autostadt" ist so groß, dass auch für die Autoskeptiker unter den Feuilletonisten etwas abfällt, und sei es die Frage, ob der klassische Neuwagenkäufer an der ganzen Inszenierung überhaupt Gefallen findet und nicht lieber etwas öfter die Gelegenheit dazu bekäme, einen Blick unter eine Motorhaube zu werfen.
Dafür aber bleibt keine Zeit, weder in der Autostadt noch bei dem weitaus bescheideneren, 1999 eröffneten "Erlebnispark Opel live" des Konkurrenten aus Rüsselsheim. Die Nähe zu den Fabrikationsanlagen erweist sich bei beiden als Trugschluss. Dauerte bis zur Einführung von "Autostadt" und "Opel live" eine Werksführung fast einen ganzen Tag und endete in Wolfsburg traditionell in der Werkskantine, so wird nun die reale Produktion weitgehend abgekoppelt. Weniger als eine Stunde dauert die Fahrt mit der "Golf-Bahn" durch einen kleinen Teil des Werks. In der zurzeit im Bau befindlichen "gläsernen Manufaktur" in Dresden hingegen will Volkswagen die Herstellung eines neuen Luxusmodells in allen Stadien zeigen. Die längst nicht mehr an einem Ort stattfindenden Produktionsabläufe, das ganze Netz an "out-gesourceden" namenlosen Zulieferern, die mit ihren "just in time"-Anlieferungen per LKW die Straßen verstopfen, werden ausgeblendet und durch das vor-industrielle Bild der handwerklichen Fertigung, der "Manufaktur", ersetzt. Das alte Werk in Wolfsburg scheint dazu nicht geeignet zu sein. Symbolisch überhöht wird deswegen nicht die Produktion, sondern deren Ergebnis, das fertige Automobil, das in zwei Glastürmen auf die Käuferinnen wartet. Dieser Speicher dient zugleich als Puffer zwischen den diversen Anlieferungs-Strängen, die in der Autostadt zusammenlaufen, denn das Fahrzeug, dass sich die Kundinnen im "KundenCenter" abholen können, kommt in den wenigsten Fällen direkt vom Fließband in Wolfsburg, wo nur die Montage der Modelle "Golf" und "Bora" stattfindet.
Das Zueinander-Kommen von Fahrzeug und Käuferin symbolisiert der Grundriss der "Autostadt" in Form einer langen Achse, die neben dem ICE-Bahnhof beginnt. Von dort aus werden die Kundinnen zunächst um einen grünen Hügel herumgeführt, der die parkartige Grundstimmung der "Autostadt" vorwegnimmt und die Zumutungen des tristen Bahnhofvorplatzes etwas abmindert. Vorbei an einem Security-Posten geht es über eine Rolltreppe auf die Fußgängerbrücke über den Mittellandkanal. Die Brücke endet abrupt vor der Glasfassade des "KonzernForums", dessen Glasfassade bei schönem Wetter aufgeschwenkt wird und damit bereits von weitem den Eindruck einer riesigen leeren Ehrenhalle erweckt. Wer einen Wagen abholen wird, hat bereits zuvor die Eintrittskarten zur "Autostadt" erhalten und könnte nun, nach einem kurzen Abstecher in den "Check-in"-Bereich, einfach auf geradem Wege weitergehen und sich auf halber Strecke zu den gläsernen "Autotürmen" mit seinem Neuwagen im "KundenCenter" treffen. Auch diese Architektur setzt auf große Gesten. Das Dach ist von einem schrägen Pylon mit Stahlseilen abgehängt, der ein wenig an eine der Ikonen der bundesrepublikanischen Nachkriegsmoderne, das Münchner Olympiastadion, erinnert. Der Innenraum ist daher frei von Stützen, denn dies ist der einzige Ort in der "Autostadt", wo Autos wirklich fahren und nicht wie Skulpturen präsentiert werden. Auch der Name des Restaurants, "Tachometer", zeigt an, dass der Tritt aufs Gaspedal unmittelbar bevorsteht. Eine Bar mit 60 Mineralwassermarken weist dezent darauf hin, dass Airbag und ABS allein noch keine Unfälle verhindern können.
Wer nicht den direkten Weg wählt, und davon ist auszugehen, begibt sich auf geschwungene Pfade, die über Brücken und an Wasserflächen vorbei zu den "MarkenPavillons" der Volkswagen-Marken Bentley, Lamborghini, Škoda, Seat, Audi und VW führen, oder bleibt zunächst im "KonzernForum" mit seinen Restaurants, Shops, Kinosälen und Präsentationsbereichen für Kinder und Erwachsene. Den realen Ort Wolfburg hat man mit dem Eintritt in die Autostadt weit hinter sich gelassen. Bahnlinie, Mittellandkanal und das längs dazu hingestreckte "KonzernForum" markieren eine mehrfache Barriere, hinter der die "Stadtlandschaft"'#A8a der "KonzernWelt" liegt. Einziger Bezugspunkt in der Außenwelt sind die Schlote des werkeigenen Kraftwerks, das in seiner technoiden Überformung eher dem tradierten Bild einer Industrieanlage entspricht als die leicht als nationalsozialistische Pathosgeste erkennbare Endlosfassade der Werkshallen, die sich den mit dem Zug Vorbeifahrenden aufdrängt.
In der "KonzernWelt" fahren keine Autos, nur Kinder dürfen auf einer Cart-Bahn mit zuvor selbst bemalten Fahrzeugen herumflitzen: Erst wird die Karosserie mit Stiften individualisiert, dann dem immer gleichen Unterbau aufgesetzt, und zuletzt folgt das Fahrvergnügen in dem durch diese Prozedur angeeigneten Gefährt. Schon die Kinder lernen, dass VW sich alle Mühe gibt, Misstrauen und Entfremdung gegenüber dem industriellen Massenprodukt Automobil durch vermeintlich selbstbestimmtes Handeln zu überwinden. Diesem Muster gehorcht die Choreografie der "Autostadt" in allen Bereichen. Beginnend auf der VW-Internetseite, wo die potentiellen Kundinnen ihre Autos probeweise zusammensetzen können, über den endgültigen Kauf bei einem Autohändler bis zur Abholung in der Autostadt wird die "eigene" Wahl aus scheinbar unzähligen Komponenten bei jedem Schritt besonders hervorgehoben. Zwar ist beim Betreten der Autostadt die Entscheidung längst gefallen und das "individualisierte" Produkt "wartet" bereits, doch auch dort wird der Entscheidungsprozess immer wieder aufs Neue durchgespielt. In der ersten Station, dem "AutoLab" in einem Seitenflügel des "KonzernForums", herrscht deswegen eine Atmosphäre wie beim Autohändler. Überall sind Tresen aufgestellt, hinter denen Beraterinnen bereitstehen, um Fragen zu beantworten. Der Wortteil "Lab" findet seine Entsprechung in einem Blick ins "Laboratorium" des Produktions- und Testprozesses, allerdings stark simplifiziert: Das Zusammenspiel von Technik und Design erfahren die Besucherinnen anhand "eines Teils, mit dem jeder Autofahrer den direktesten Kontakt hält - dem Lenkrad"#A9, dessen Entwicklung vom CAD-Modell bis zur manuellen Lederverarbeitung quälend ausführlich gezeigt wird. Ist die Komplexität erst derart reduziert, kann das Ausklapp-Modell eines chirurgisch quer geteilten "New Beetle" à la Damien Hirst erst seine überwältigende Wirkung voll entfalten. Automobilbau, lautet der Subtext dieser Präsentation, ist eine Geheimwissenschaft, der sich die Käuferinnen vertrauensvoll auszuliefern haben. An diesem Punkt haken die Filmvorführungen ein, die zwischen den einzelnen Etagen des "AutoLabs" angeordnet und der Darstellung des theoretischen Überbaus gewidmet sind. In einem Saal mit Multiplex-Standard und einem 360-Grad-Kino werden die Besucher auf die "vier Werte, die für den Volkswagen-Konzern maßgeblich sind"#A10 eingestimmt: "Qualität, Sicherheit, soziale Kompetenz, Umwelt"#A11. Werte, die an die Stelle von Wissen treten, denn so sehr auch das "AutoLab" mit technischen Details und interaktiven Stationen aufwartet - einen Einblick, wie etwas im Grunde so Einfaches wie das Antiblockiersystem ABS wirklich funktioniert, bekommt man dort nicht. Beim Warten auf den Einlass zu den Filmen kann man an Computer-Terminals eine Variante von "SimCity" spielen, bei der es darum geht, nicht zu viel in Lohnkosten und Sozialprogramme zu investieren, da sonst die Produktion sinkt und nach zwei Runden das Spiel zu Ende ist. Doch dieses Detail bleibt eine Ausnahme. Sonst ist nirgends vom Interessengegensätzen die Rede, sondern nur davon, dass es gut ist, sich zu einigen (der Film "Ausflug") und dass es "absolute Sicherheit" in einer Welt voller Risiken, Kriege und Grausamkeiten auch mit einem VW nicht gibt (der Film "Das Geheimnis der Sicherheit"). Warum es dennoch gut ist, einen zu fahren? Volkswagen, das zeigen die Filme, in denen Meret Becker, Michael Gwisdek, Marc Hosemann und Maria Schrader auftreten, aber kein einziger VW zu sehen ist#A12, verspricht mehr als nur Autos zu produzieren. Zum "ästhetischen Gebrauchswertversprechen" kommt in der Autostadt ein "ethisches Versprechen" der "vier Werte" hinzu. "Die tun was", heißt es zwar in der Ford-Werbung, aber VW zeigt, was damit gemeint sein könnte. Selbst bei den überwiegend männlichen Besuchergruppen an einen Wochentags-Vormittag stießen die Filme auf ein überraschtes, anerkennendes Staunen darüber, dass der Konzern anscheinend ganz andere Anliegen verfolge als die eitle Selbstdarstellung. Auch wenn das Vertrauen in die Marke nicht vom Inhalt der "problembewussten" Filme beeinflusst wird, denn wohl Jeder der etwa 40-jährigen Besucher wähnt sich selbst als der beste Experte und will sich nicht belehren lassen, erfährt doch wenigstens deren Unterhaltungswert große Zustimmung. Und damit ist eine Verbindung von Freizeitvergnügen und Automobil hergestellt, die das Auto aus dem Bereich der Notwendigkeit in den des Lustgewinns überführt. So wie es Spaß machen soll, einen Volkswagen zu fahren, macht es Spaß, durch die "Autostadt" zu schlendern.
Im "KonzernForum" steht sehr viel Personal herum, das einen "VIP-Status für jeden Besucher"#A13 sichert und einheitlich dunkelblau-weiß gekleidet ist, ergänzt durch grüne Krawatten und grüne Handtaschen bei den weiblichen Beschäftigten. Auf die multi-ethnische Zusammensetzung scheint Wert gelegt worden zu sein. Individualität drückt sich außerdem in den unterschiedlichen Schuhen aus, wo auch Sneakers erlaubt sind. In den "MarkenPavillons" herrscht ein wenig EXPO-Atmosphäre, denn dort scheint das Personal aus den Ländern der jeweiligen Marken zu stammen. Im Lamborghini-Pavillon stellt sich heraus, dass dessen Belegschaft einer Wolfsburger Pizzeria abgeworben wurde. Auch die Präsentationen in den Pavillons gleichen in der Aneinanderreihung von Video-Show, atmosphärischen Interieurs, Animationen und wenigen ausgestellen Produkten den Inszenierungen in den Länder-Pavillons der EXPO. Im Audi-Pavillon wird zwar das traditionell spießige Image der Marke noch längst nicht überwunden, aber die Technik ist auf dem neuesten Stand: Tony Ourslers Videoprojektionen dienten als Vorbild für eine Reihe von sprechenden Gesichtern, die von der Entwickung des neuesten Modells erzählen. Auch beim Seat-Pavillon, wo "der Weg mitten hinein in die weibliche, erotisch anmutende Form"#A14 führt, wundert man sich, wie reibungslos der Transfer funktioniert: Techniken der subtilen Manipulation des Konsumenten im Sinne von Vance Packards "Hidden Persuaders" werden ironisch aufgedeckt, indem die Besucherinnen eigens darauf hingewiesen werden, dass bei einer schnellen Kopfbewegung für Sekundenbruchteile "Think young, open your mind" auf dem blinkenden LEDs erscheine.
Wenn aber die Technik unter der Karosserie weitgehend dieselbe ist, besteht die Alternative, einen deutschen, tschechischen oder spanischen Volkswagen zu kaufen, allein in der "Philosophie" der "unterschiedlichen Markenwelten"#A15. Der "Global Player" Volkswagen setzt auf Differenz als Verkaufsargument. Es ist allerdings eine Differenz auf Abruf, denn die meisten Pavillons sind einfache Konstruktionen und können, anders als das "KonzernForum", das "KundenCenter" und die "AutoTürme" auf der Achse der "Autostadt" jederzeit um- oder abgebaut werden, wenn sich an der Firmenpolitik etwas ändern sollte. Demnächst wird für die neuerworbene LKW-Marke Scania ein weiter Pavillon errichtet, der auf einem Schiff untergebracht ist.
Die Adressaten dieses umfassenden Konzernbewusstseins aus Fortschrittsversprechen, Verantwortung und wohldosierter Kritik#A15 sind nicht allein die täglich erwarteten 3000 "Selbstabholer" und 1000 sonstigen Besucherinnen, sondern auch die eigenen Mitarbeiterinnen. Unter den Besucherinnen der Restaurants und Cafés sind nicht wenige Geschäftsleute, die zum Unternehmen gehören und sich dort mit anderen treffen. Auch die Auswahl der Speisen wendet sich ans eigene Personal und spielt mit den hausgemachten Legenden des VW-Werks, denn im schicken Mövenpick-Ambiente wird die selbst hergestellte "VW-Currywurst" serviert, die traditionelle Pausenmahlzeit der Schichtarbeiter. Der freie Eintritt für Werks-"angehörige", das heißt für Teile der Konzern-Familie, hält die Klassenschranken bewusst niedrig. Lediglich das luxuriöse "Ritz-Carlton-Hotel" wurde so platziert, dass es nicht mit dem Gelände der "Autostadt" verschmilzt, obwohl der Konzern dort ebenfalls gönnerhaft mit seinen Untergebenen verfährt: Die garantierte Mindestbelegung eines Großteils der Zimmer durch die Volkswagen AG kommt gelegentlich auch denen zugute, die sonst in billigeren Betten übernachten würden.
Oliver Elser
Anmerkungen 1 Wolfgang Fritz Haug, "Anstelle einer Einleitung", Nachwort zur schwedischen Ausgabe der "Kritik der Warenästhetik", in: ders. (Hg.), Warenästhetik. Beiträge zur Diskussion, Weiterentwicklung und Vermittlung ihrer Kritik, Frankfurt/M. 1975, S.11-21, hier S.15.
3 Hans-Ernst Mittig, "Industriearchitektur des NS-Regimes. Das Volkswagenwerk", in: Aufbau West - Aufbau Ost. Die Planstädte Wolfburg und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit, Ausstellungskatalog Deutsches Historisches Museum Berlin, Ostfildern-Ruit 1997, S.50-63, hier S.51
4 Ebd, S.54.
4a Im Ritz-Carlton-Hotel darüber hinaus Arbeiten von Michael van Ofen, Thomas Struth, Elger Esser, Arnold Newman, Klaus Kinold, Robert Mapplethorpe, Richard Pare, Karl Blossfeld, Günther Förg, Klaus Kumrow, Nangaku Kawamata, Sung-Yon Lee, Erik Steffensen, Cécile Wick, Xiao Hui Wang, Tamotsu Fujii, Perry Poberts, Rolf Rose, Mireille Gros. Das Kunstprogramm wurde durch Dr. Maria Schneider konzipiert.
5 Thomas Assheuer, "Heiligabend geschlossen", in: Die Zeit, Nr. 24, 8.6.2000.
6 Ebd.
7 Volker Weidermann, "Der Rundum-sorglos-Ort", in: die tageszeitung, 10.7.2000.
8 Thomas Wagner, "Mit dem Käfer nach Las Vegas", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.7.2000.
8a Pressematerial "Autostadt", Kapitel "Landschaftsarchitektur", Wolfsburg 2000.
9 Pressematerial "Autostadt", Kapitel "Automobilität", Wolfsburg 2000.
10 Ebd.
11 Ebd.
12 Regie führten Dani Levy und Rainer Kaufmann, das Drehbuch zu "Ausflug" stammt von Hans-Christian Schmid nach einer Idee "der sehr erfolgreichen, jungen Schriftstellerin Judith Hermann ("Sommerhaus, später") und des Filmstudenten Nicolaus Jacob", aus: Pressematerial "Autostadt", Kapitel "Film", Wolfsburg 2000.
13 Pressematerial "Autostadt", Kapitel "Essenzen".
14 Pressematerial "Autostadt", Kapitel "Architektur".
15 Beide Zitate aus dem Faltblatt "Autostadt. Mobilität erleben", Wolfsburg 2000.
16 Deren Grenzen wurden überschritten, als der Braunschweiger Kunsthochschule im Juni 2000 die Sponsoring-Mittel entzogen wurden. Grund war die Verwendung eines Zitates des Vorstandsvorsitzenden Piëch in einer Diplomarbeit, die damit die Konzernstrategie von Volkswagen mit Strategien der Kriegführung verglich.
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