[Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Feuilleton), 16.2.2000]


Obsession und Chaos

Gleicher unter Gleichen: Max Dudlers Berliner Verkehrsministerium


Es lohnt, kurz innezuhalten, die Augen zuzukneifen und sich vorzustellen: Daß nicht die traurig zu einem Burggraben kanalisierte Panke, sondern die Spree dort an jenem graugrünen Quader vorbeiflösse, den der Architekt Max Dudler als Erweiterungsbau für das Bundesverkehrsministeriums errichtete. Ein im Spiegel der Wasseroberfläche zum idealen Kubus verdoppeltes Gebäude wäre wohl zu sehen, ein selbstbewußter Solitär vor dem dichten Gewebe der Stadt, ein Bild aus Schinkels Tagen stellte sich ein. Nun ist Dudler nicht Schinkel, das Bundesverkehrsministerium nicht die Bauakademie und die Panke ein lächerliches Rinnsal. Das alles weiß auch Max Dudler. Aber als zum Jahreswechsel 1995/96 gleichzeitig zwei Architekturwettbewerbe für Bundesministerien ausgeschrieben wurden, setzte Dudler in beiden auf die Schinkel-Karte und errang zweimal den ersten Preis. Mit seiner Reminiszenz an Schinkels modernen, individualistischen Städtebau vermittels freistehender Monumente eröffnete Dudler für einen kurzen Moment die Debatte darüber, ob in Berlin wirklich immer der geschlossene Baublock das Leitbild aller Planungen sein müsse. Doch Dudler beging dabei den Fehler, den Bildhunger seines Publikums zu unterschätzen, das nach jahrelanger Diskussion über das "steinerne Berlin" nur noch mit Fassadenfragen beschäftigt war. Anstatt seine Entwürfe städtebaulich zu diskutieren und, im Falle des Auswärtigen Amtes, darin eine unerhört offene Geste gegen die Abschottungsphantasien der Ministerialbürokratie zu entdecken, schnappten die Kritiker nach Dudlers Rasterfassaden und attestierten "Null-Architektur". Eine Koalition aus vermeintlichem Volkszorn und Bundeskriminalamt sorgte unter Beteiligung der Staatssekretärin im Bauministerium und heutigen Kultursenatorin Christa Thoben dafür, dass Dudler zugunsten der moderateren Sicherheitsarchitektur des zweiten Preisträgers Müller/Reimann vom Siegertreppchen gestoßen wurde.

Es blieb ihm der zuerst gewonnene Wettbewerb für das Bundesverkehrsministerium, die Erweiterung der ehemaligen Geologischen Landesanstalt am nördlichen Ende der Luisenstraße. Diese bildet zusammen mit dem 1883 errichteten Naturkunde-Museum und dem Institut für Gartenbau der Humboldt-Universität eine prachtvolle dreiteilige Anlage an der Invalidenstraße. In deren westlichem Trakt, wo einst jene Steine untersucht wurden, die noch heute in den Holzvitrinen des phantastisch verdämmerten Museums zu besichtigen sind, wird künftig die Ministerialebene residieren. Die Entscheidungen, heißt es, fallen hingegen im rückwärtigen Erweiterungsbau.

Im zähen Ringen mit der Denkmalpflege gelang es Dudler, der auch die Restaurierung des Bestandes übertragen bekam, den überglasten Innenhof des Altbaus von farbigen Wandfassungen freizuhalten. Während in den umlaufenden Gängen die Wandbemalungen historisch korrekt rekonstruiert wurden, durfte der Hof mit seiner Arkade aus gußeisernen Säulen puristisch-modern als weißer Raum interpretiert werden. Der Architekt argumentierte, dass dies der erste von drei Höfen unterschiedlicher, aber durchweg zeitgenössischer Prägung sei, die das Ensemble aus Alt und Neu zusammenhielten. Wenigstens als gedankliche Konstruktion, möchte man ergänzen, denn real unterscheiden sich Dudlers Hof-Entwürfe gewaltig von jenem des Altbaus. Der Hinweis auf dem dritten, noch fehlenden Hof ist zugleich ein dezenter Wink, dass die Planungen für einen zweiten Erweiterungsbau schon in der Schublade liegen. Wer einmal im Geschäft ist, braucht das Lottospiel des Architekturwettbewerbswesens nicht mehr zu fürchten, scheint es.

Auch angesichts der äußeren Erscheinung des Ministeriums bedarf es eines wohlentwickelten Abstraktionsvermögens, um das Zusammenspiel von Alt- und Neubau plausibel nachvollziehen zu können. Nur wer, an der Seite des Invalidenparks stehend, sich noch daran erinnert, daß um die Ecke an der Invalidenstraße drei solitäre Bauten einen Stadtraum bilden, wird Dudlers Erweiterung als sinnfälligen vierten Quader begreifen. Vögel oder übers Modell gebeugte Architekten haben da die günstigere Perspektive. Dudlers Architektur ist die Herkunft aus der Schule Oswald Mathias Ungers' deutlich anzumerken: Was zählt, ist weniger die Erscheinung, sondern die dahinter verborgene Idee. Statt eines Altbaus mit Annex sehe man bitteschön zwei miteinander korrespondierende Steinkörper, den sandsteinernen des Altbaus und den von Dudlers Neubau, als Kontrast in grüngrauem Granit gehalten. Pech ist bloß, daß zwischen die beiden Solitäre noch ein hell verputzer Jahrhundertwende-Anbau gespannt ist. Dudler hätte ihn am liebsten schwarz streichen und damit neutralisieren lassen.

Die streng gerasterte Fassade ist zwar gegenüber den angefeindeten Wettbewerbszeichnungen etwas weniger grob geraten, doch nach wie vor herrscht radikale Reduktion. Den Nutzern kommt dies immerhin zugute, denn die Büros haben durchweg fast raumhohe Fenster. Zum Innenhof sind die Bürowände sogar fast gänzlich aufgelößt. In den allseitigen Glasflächen ergeben sich Spiegelungen und Brechungen des natürlich auch hier präsenten Rasters, die die penible Maßordnung als Obsession entlarven, die leicht ins Chaos kippen kann.

Der Boden des Hofes wird von einer Kassettendecke mit Glasfeldern gebildet, unter der im Erdgeschoß die Konferenzzone des Erweiterungsbaus liegt. Drei Sitzungsräume sind als Kuben frei hineingestellt und ragen durch die Decke hindurch in den Hof hinein, wo ihre Dachflächen als Stein-, Wasser- und Pflanzengarten für einen optischen, aber unbetretbaren Ruhepol zwischen den Spiegelwänden sorgen.

Während das Gebäude auf den Etagen die Atmosphäre eines sachlich-klaren Bürohauses mit sorgsamer Detaillierung, großzügigen Freiräumen und Durchblicken ausstrahlt, wirkt der Konferenzbereich wie ein etwas verzweifelter Versuch, die absolute Geste gegenüber der Außenwelt auch im Inneren aufrecht zu halten. Ein gedrungener Arkadengang umschließt den Hof mit grünlichen Natursteinpfeilern, von denen jeder zweite entbehrlich wäre, weil er nichts trägt und irgendwie spürt man das auch. So wird das freie Arrangement der Konferenzkuben unter dem fast Mies'schen Rasterhimmel seltsam eingegattert von einer Steinpalisade, hinter der dann doch die weiße Normtür des Notausgangs hervorlugt.

Oliver Elser


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