15. 7. 2000 | Frankfurter Allgemeine Zeitung / Berliner Seiten
Und das wäre Ihr Preis gewesen!
Wer opferte das Ahornblatt? Eine kritische Rekonstruktion der Ereignisse
Wenn am Montag die Bagger anrücken und niemand sie aufhält, dann verschwindet mit dem Ahornblatt nicht allein ein bedeutendes Zeugniss der Architekturgeschichte und ein weiteres Stück der DDR-Stadtlandschaft mit ihren leider nur halbherzig eingelösten Versprechungen einer Wohnstadt im Grünen. Auch eine Option für die Zukunft der gesamten Fischerinsel wird eingerissen, obwohl es eine Alternative gibt, die nur aus der Schublade geholt werden müßte. Doch daran hat fast niemand ein Interesse, denn am Ahornblatt prallen zwei Betonkopffraktionen unversöhnlich aufeinander und blockieren sich gegenseitig.
Die Alternative zum drohenden Abriss stammt aus dem Jahre 1998. Unbemerkt von der Debatte über das "Planwerk Innenstadt" hatte die Oberfinanzdirektion als Treuhänderin des Bundes nach Investoren für Grundstücke in der Ost-Berliner City gesucht, die ihr aus dem Nachlass des DDR-Volkseigentums zum Verkauf übertragen worden waren. Um einen maximalen Erlöß zur Aufbesserung der Staatskasse zu erhalten, wurde einer "Objektmarketinggesellschaft" aus Donau-Eschingen ein Hochhaus auf der Fischerinsel in Aussicht gestellt, das neben dem Ahornblatt stehen und in der Höhe die umliegenden Wohnscheiben bei weitem überragen sollte. In der seinerzeit CDU-geführten Senatsbauverwaltung war man dem Vorhaben nicht abgeneigt und auch im zuständigen Bezirk Mitte sah die damalige Baustadträtin in dem Hochhaus eine Chance, dem gemeinsamen Gegenspieler in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung einen Sprengsatz unter das von dort aus initiierte "Planwerk Innenstadt" zu legen. Denn das im Spätherbst 1996 von Stadtentwicklungssenator Strieder (SPD) der Öffentlichkeit präsentierte "Planwerk" sah unter anderem vor, die Verkehrsschneise über der Fischerinsel auf das historische Straßenprofil zurückzubauen und daraus gleichzeitig kulturelles wie reales Kapital zu schlagen. Wenngleich er kaum von gleichen Interessen getragen war, gelang der Schulterschluß zwischen der Baustadträtin Baumert und der Senatsbaudirektorin Jakubeit. Der Investor und sein Architekt Gernot Nalbach zogen das Hochhaus etwas in die Länge, sodass es sich in die bestehende Silhouette der Fischerinsel einfügte und erhielten dafür einen Bauvorbescheid. Für Baumert waren die Ensemblewirkung der DDR-Moderne und das Ahornblatt gerettet und Jakubeit konnte ihrem Senator Klemann einen kleinen Erfolg im alltäglichen Ränkespiel der großen Koalition verkünden.
Die Planwerks-Fraktion tobte und mit ihr die PDS-Fraktion im Bezirk Mitte, denn so sehr man sich gegen das Planwerk stellte - ein Hochhaus mit Büro- und Hotelnutzung war für die PDS eine Kampfansage. Die bis dahin der Partei nahe stehende Karin Baumert wurde in der Bezirksverordnetenversammlung abgewählt und durch den Hochhausgegner Thomas Flierl ersetzt. Dessen Spielraum stieß jedoch an die Grenzen des Ahornblatts. Wenn ein Hochhaus nicht in Frage kam, dann mußte die Baumasse auf dem Grundstück verteilt und auf die Hälfte reduziert werden, sonst wäre der Abriss des Ahornblatts unausweichlich. Ein Appell an den damaligen Finanzminister Oskar Lafontaine, doch auf einen Teil des Erlöses aus dem bevorstehenden Grundstücksverkauf zu verzichten, erbrachte kein Ergebniss. Mittlerweile hatte der Druck zugenommen, dem noch nicht rechtskräftigen Planwerk einen schnellen Erfolg zu bescheren, der an kaum einer anderen Stelle so einfach zu haben war, wie auf der Fischerinsel. Die Kontrahenten Strieder und Klemann beschlossen einen Deal. Gegen Zugeständnisse in der City-West rückte Klemann von der Blockadeposition auf der Fischerinsel ab. Der OMG wurde angeboten, den Bauvorbescheid für das Hochhaus gegen die Zusage einer niedrigen Bebauung unter Verzicht auf das Ahornblatt einzutauschen. Der Investor und sein Architekt stimmten zu und änderten die Pläne. Im Gegenzug hob der Senat den Denkmalschutz für das Ahornblatt auf und verfügte gegen den Widerstand des Bezirks den Abriss.
Die Diskussion wieder auf den Stand des ersten Nalbach-Entwurfes zurückzuholen und das Ahornblatt zu erhalten, wie es Karin Baumert auf der Veranstaltung einer Initiative von HdK-Studenten am Mittwoch forderte, stößt gegenwärtig auf eisiges Schweigen. Der Bezirk beharrt auf der Ablehnung eines Geschäftshochhauses und arrangiert sich an der Gertraudenstrasse mit den Vorstellungen des Planwerks, obwohl abzusehen ist, dass dies erst der Anfang vom Ende des Hochhausensembles auf der Fischerinsel ist. Der am Donnerstag vom Bezirk beschlossene Bebauungsplan ist das Papier nicht wert, auf dem er gezeichnet wurde, denn die Planwerks-Begehrlichkeiten auf lukrative Wohnflächen an der Spitze der Insel dürften sich qua Senatsentscheidung ebenso durchsetzen lassen, wie der Abriss des Ahornblatts. Doch auch das Planwerk ist in weiten Bereichen bloß Papier. Anstelle des Ahornblatts wird ein Klotz auf die Fischerinsel gerammt, der auf absehbare Zeit dort ziemlich allein stehen wird. Es wäre Zeit für eine neue Runde der Stadtdiskussion, doch der Abriss drängt und schafft Realitäten. Die Architektur-Studenten von der HdK haben angekündigt, dass sie das Ahornblatt retten wollen, sie sind erreichbar im Fuß des Hauses Fischerinsel 6 und unter 20649241.
Oliver Elser
Copyright beim Autor
Hinweis
Der Text ist die Manuskript-, nicht die Druck-Fassung. Bitte die Entnahme wörtlicher Zitate an der Druckfassung abgleichen. Diese kann beim Autor bestellt werden.