3. 5. 2000 | Frankfurter Allgemeine Zeitung / Berliner Seiten


Unter der Autobahnbrücke

Abriss West (3): Das Hauptgebäude der Technischen Universität

Was wären wir aus dem Westen bloß ohne die sechziger Jahre? Im Jahrzehnt davor hatte man sich aufgerappelt, die Trümmer beseitigt, den Bauch gefüllt, ein Auto gekauft, Italien bereist, wieder das Schießen gelernt, die Demokratie erprobt; und sich so allmählich in der westlichen Konsumwelt häuslich eingerichtet. Bald wichen die Provisorien der frühen Jahre einem neuen Selbstbewußtsein als Industrienation. Statt die Welt zu überfallen, sollte sie mit Gütern made in Germany beglückt werden. Demonstriert wurde die neue Potenz auf dem heimischen Markt. Dessen Schaufenster war Berlin, eines der Prunkstücke darin der Ernst-Reuter-Platz. Rings um die freundlichen Fontänen, mit denen der in den Speerschen Straßenlaternen noch leise glimmende Feuerschein auf der Triumphachse des "Dritten Reiches" endgültig gelöscht werden sollte, entstanden freistehende Hochhäuser für die Spitzen der in Berlin verbliebenen Wirtschaft. Osram ließ sich ein "Haus des Lichts" bauen, die Montanindustrie spendierte der Technischen Universität das Hochhaus für Bergbau- und Hüttenwesen, IBM präsentierte in einem Glaskasten im Fuß seiner schnittigen Scheibe ein blinkendes "Elektronengehirn" und das höchste Haus am Platze und in der ganzen Stadt gebührte dem Elektronikkonzern Telefunken, bevor der Osten mit dem "Turm der Signale" nachzog und dauerhaft die Herrschaft über den Berliner Luftraum eroberte.

Die Komplettierung des Ensembles zog sich bis weit in die sechziger Jahre hinein. Die Republik wurde fett und fetter und die Bauten, auch am Ernst-Reuter-Platz, immer plumper. Individuelle Gestaltung und Eleganz waren dem Aufstapeln von Quantitäten gewichen. Verbaut wurde, was die allmächtige Industrie gerade in den Katalog genommen hatte. Das bei weitem unförmigste Gebäude beherbergt heute die Telekom und es wäre ein Abrißkandidat par excellence, gäbe es nicht unweit davon ein Vorbild für dieses Monstrum ohne Eingang, das die satte Ignoranz dieser Jahre, ohne die es 1968 wohl nie gegeben hätte, weit fataler zum Ausdruck brächte.

Die zehngeschossige Scheibe des Hauptgebäudes der Technischen Universität verbindet mit dem Telekom-Bau die tiefe Hilflosigkeit und das enorme Desinteresse, mit der die Architekten vor dem Problem standen, wie Masse strukturiert werden kann. Sie flüchteten sich in ein billiges Zitat der Fensterbänder der klassischen Moderne, ohne damit auch nur im entferntesten dem vom Autoverkehr inspirierten Schwung der Luckhardtschen Planungen für den Alexanderplatz oder der Fassade Mendelsohns am Potsdamer Platz nahezukommen.

Doch während man den Telekom-Brocken ruhig als Geschichtszeugen der Maßlosigkeit betrachten und es dem Nutzer überlassen sollte, wie sich das Image als dynamisches Unternehmen in diese verquollene Hülle fügt, läßt sich das ungleich öffentlichere Dilemma des TU-Hauptgebäudes einfach lösen: Weg mit der Hochhausscheibe und ab mit der Verwaltung ins Internet.

Dabei hatte die Wiederherstellung des Hauptgebäudes in den fünfziger Jahren recht zaghaft begonnen. Dem teilweise ausgebrannten Rumpf des wilhelminischen Prunkbaus wurde ein "kompromisslos neues Leben" eingehaucht, dessen "heitere und durchsichtige" Gestaltung in Stahl, Glas und hellen Farben einen Kontrast zum "leicht ruinös" belassenen Äußeren setzte und so zu "Besinnung oder Widerspruch" anregen sollte, wie ein damaliger Kritiker lobend notierte. Gekrönt wurde der Einbau von Rektorat, Hörsälen, Bibliothek und Treppenhäusern von der gläsernen Warte des "Geodätenstands", der die "klare Loslösung vom Architekturanspruch des darunter befindlichen Baukörpers" mit seinem Flugdach zum Ausdruck brachte. Der Architekt dieser beschwingten Betonschale, Kurt Dübbers, kehrte jedoch bald darauf zur megalomanen Form zurück, die ihm als Mitarbeiter bei der "Umgestaltung der Reichshauptstadt" noch in den Knochen steckte und bereits 1942 auf einen Lehrstuhl der TU befördert hatte. Christoph Brachmann und Robert Suckale haben für ihre Publikation über die Bauten der TU (Verlag für Bauwesen, Berlin 1999) ein Photo aus den Archiven gezogen, das ihn neben dem skeptisch dreinblickenden Theodor Heuss beim gottgleichen Hantieren mit einer massiven Hochhausscheibe an einem Architekturmodell zeigt. Es sollten jedoch zehn Jahre verstreichen, bis Professor Dübbers mit dem Ausbau der TU zu einer Massenuniversität die Gelegenheit zur Realisierung bekam.

Der 1963 bis 1968 zusammen mit Karl-Heinz Schwennicke errichtete Nordflügel atmet trotz des langen Vorlaufs unverkennbar den Charme der sechziger Jahre. Ein dialektisches Einfügen war nun kein Thema mehr. Allenfalls die ausgehöhlten Stummel der Seitenflügel rechts und links der Hochhausscheibe erinnern noch an die großzügige Vorplatzsituation, mit der einst das Vorbild, die Humboldt-Universität, übertroffen werden sollte. Wer es heute an parkenden Autos, einer endlosen Waschbetonwand und dem Wandrelief "Gegensätzliche Strukturen" vorbei in den Eingang geschafft hat und nicht an den Türen gescheitert ist, sollte erst einmal links abbiegen und sich eines der ausgezeichneten Schnitzelbrötchen in der pittoresken Cafeteria am Ende der Düsterniss hinter dem Audimax gönnen, denn er findet den Weg durch das Labyrinth aus Neu- und Altbau auf Anhieb sowieso nicht. Die Atmosphäre in diesem endlosen Foyer gleicht der einer Party unter einer Autobahnbrücke. Nur tragen die grobschlächtigen Betonstützen keine Fahrbahn, sondern den Architektur gewordenen Stillstand der darübergestapelten düsteren Verwaltungsgeschosse, deren Treppenhäuser vorsorglich mit "Selbstmörderpodesten" ausgestattet wurden.

Das historische Zentrum das Hauses hingegen, der von einem Glasdach überspannte Lichthof, wird durch den pseudodemokratisch ebenerdigen Zugang ins Gebäude von allen Verkehrswegen abgeschnitten und liegt schier unauffindbar im ersten Stock. Während einer kurzen Tauwetterperiode in den siebziger Jahren wurde der zuvor in Grabeskälte wiederhergestellte Innenhof, einst gleichrangig zu dem des Gropius-Baus, mit grünem Teppich belegt und diente zum Dösen und für Gymnastikübungen. Nun aber herrscht dort wieder dieselbe cleane Stille, jenes "Pathos aus Macht und Tod und Bildung", das den Bauhistoriker Goerd Peschken an einen NS-Appellhof erinnerte. Die Geister des 19. Jahrhunderts waren schwer nur zu bannen, ohne andere auf den Plan zu rufen.

Nach dem Abriß des Hochhauses böte sich eine phantastische Perspektive auf ein offengelegtes Herz. Die Universität, die sich mitten in der Stadt erfolgreich verbunkert hat, träte an die Öffentlichkeit. Ob das Herz noch schlägt, würde sich dann zeigen.

Oliver Elser

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