23. 11. 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung

Katzen und Hunde vor Flachlandschaft

Architektur für den Erstkontakt: Das neue Tierheim von Dietrich Bangert am Rande Berlins

Bis in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts mußte sich kein Architekt dafür rechtfertigen, wenn er mit seinen Bauten das Leben der Menschen zu verändern versuchte. Die Wohnungen sollten komfortabler, die Büros kommunikativer, die Universitäten interdisziplinärer und die Innenstädte aufregender werden. Doch mit dem Herandämmern der Postmoderne erwachte eine Architektengeneration aus ihren Träumen und sah um sich herum nur noch Großsiedlungen, Großraumbüros und riesige Autobahnkreuze. Ein großes Jammern erhob sich, ein ganzer Berufsstand verlor seine Zuversicht und wandte sich nach Jahren der Abstinenz wieder der Geschichte zu, verfiel aber nach kurzer Zeit ins entgegengesetzte Extrem. Nirgendwo sonst sind die Resultate des blindwütigen Traditionalismus deutlicher ausgeprägt als in Berlin, ausgerechnet dort also, wo zuvor am fleißigsten der Beton für die neue Gesellschaft angemischt wurde. Nur wenigen Architekten gelang es, den oft radikalen Bruch in ihrer Biographie produktiv zu verarbeiten und nicht auf den allgegenwärtigen Blockkanten-Urbanismus einzuschwenken, der einst als "Stadtreparatur" den Größenwahn der Architekten und Baugesellschaften erfolgreich eindämmte, nunmehr aber selbst dem Wahn verfallen ist, Traditionen aus dem Boden stampfen zu wollen, wo nicht einmal Spuren davon vorhanden sind. Erst seit jüngster Zeit treten einige Architekten, die am Richtungswechsel zu Beginn der siebziger Jahre in Berlin ihren Anteil hatten, daraus aber andere Schlüsse zogen, aus der lähmenden Mittelmäßigkeit hervor. Axel Schultes' Krematorium in Treptow, seine Vorschläge für den Schloßplatz und natürlich das Bundeskanzleramt, Stefan Scholz' Schule in Hohenschönhausen und zuletzt das benachbarte Tierheim von Dietrich Bangert verbindet nicht nur, dass die drei Architekten früher in einer Bürogemeinschaft zusammenarbeiteten. Hinter jedem dieser Entwürfe steht der Drang, die Architektur durch neue Raumerfahrungen aus der Defensive zu bringen, vorhandene Typologien aufzubrechen und dadurch dem Leben einen neuen Rahmen zu geben.

Ob bei der Regierungszentrale oder dem Tierheim, überall versuchen diese Architekten, aus geometrischen Grundformen ein plastisch-räumliches Spiel zu modellieren. Während sich das Bundeskanzleramt für Axel Schultes aber als schwer zu formender Apparat entpuppte, durfte Dietrich Bangert eine Idealstadt für Menschen und Tiere realisieren. Sein Auftraggeber, der Tierschutzverein Berlin, hatte sich zu einem Neubau entschlossen, weil in seinem seit 1901 in Lankwitz bestehenden Gebäude der Platz fehlte, nach der Abwicklung des Ostberliner Tierheims alle aufgegriffenen oder abgegebenen Tiere Berlin unterzubringen.

Daß der neue Standort im Osten liegt, am Rande des Plattenbaubezirks Hohenschönhausen, ergab sich dann eher zufällig. Wer das Publikum an einem normalen Werktag dort erlebt, ahnt, was für ein glücklicher Zufall es gewesen sein könnte, denn Hohenschönhausen zählt in jeder Hinsicht zu den weniger privilegierten Bezirken der Stadt.

Die gänzlich aus Eigenmitteln finanzierte, 71 Millionen Mark teure Anlage bildet einen Ort, der das traurige Schicksal seiner meist vierbeinigen Bewohner für den Besucher zunächst in den Hintergrund treten läßt. Es ist kein mitleiderregendes Tiergefängnis, das vielleicht zu vorschnellen, weil nur vorübergehenden Barmherzigkeitsgesten verleiten könnte, sondern eine großzügige Anlage mit den Qualitäten eines städtischen Parks. Gegen die Kulisse der endlosen, von undefinierten Grünflächen umwaberten Sozialbauten, die ein kleiner Speckgürtel aus Schuppen und historischen Dorffragmenten umgibt, setzt Bangert zwei gerade, rechtwinklig zueinander stehende Gebäudereihen. Wie die Schenkel eines Zirkels spannen die flachen Bauten einen Platz mitten im Nirgendwo auf.

An ihrem Schnittpunkt betritt man den großen, baumbestandenen Hof, der auf der gegenüberliegenden Seite von einer in weitem Radius geschwungenen Betonmauer begrenzt wird, die von flachen Wasserbecken umgeben ist. Pappelreihen ziehen den Blick entlang der Gebäudekanten in die Landschaft hinaus. Die Horizontalität der Architektur und der für alle Gebäude verwendete Sichtbeton geben dem Platz einen ruhigen, fast irritierend neutralen Rahmen. Erst das Hundegebell von jenseits der Mauer erinnert daran, was der Grund des Besuchs gewesen sein mag. Sonst könnte der Hof auch einfach ein öffentlicher Platz sein, wo Kinder den besonderen Kitzel genießen, Wasserflächen auf geländerlosen Brücken zu überqueren und Rentner in der Sonne dösen. Unterdessen dürfte man längst von einer der Katzen entdeckt worden sein, die hinter den langen Glasfronten des südlichen Gebäuderiegels wie in Schaufenstern liegen und ihre Umgebung beobachten. Auch das noch nicht fertiggestellte Kleintierhaus, das neben der Verwaltung und einem Vortragssaal im anderen Gebäudewinkels untergebracht ist, präsentiert die Tiere als seien es Waren, also etwa auf Augenhöhe der kleinsten Besucher. Zwar dient das Zuschaustellen vorrangig der Vermittlung der heimatlosen Tiere, doch den Katzen scheint ihre vorübergehende Behausung zu gefallen. Nur wenige haben sich ins Körbchen zurückgezogen, das einzige Mobiliar unter dem von Stützen mit "Lichtkapitellen" durchstoßenen Betondach der drei Katzenhäuser, das nicht vom Architekten entworfen wurde.

Dasselbe Prinzip, den "Erstkontakt" für Menschen und Tiere gleichermaßen angenehm zu gestalten, bestimmt auch die Architektur der hinter Wasserbecken und Mauer gelegenen Hundehäuser. Statt endloser Käfigreihen, in denen die Hunde verunsichert die Aufmerksamkeit der vorbeilaufenden Besucher herbeibellen würden, sind dort jeweils zwölf tortenstückförmige Hundezellen in einem Dreiviertelkreis um eine kleine Besucherzelle gruppiert. Obwohl im Tierheim gegenwärtig fast nur sogenannte Kampfhunde auf Vermittlung warten, verläuft die frontale Konfrontation mit gleich einem ganzen Rudel schon nach kurzer Zeit erstaunlich ruhig.

Je drei dieser Cluster bilden eines der fünf Hundehäuser. Sie sind an den Außenseiten geöffnet und erlauben den zahlreichen Besuchern, von denen etliche gar nicht auf der Suche nach einem Tier sind, eine weitere Kontaktmöglichkeit. Viele Familien schlendern an den kreisförmigen Hunderondells entlang, die trotz der Vergitterung wirken, als gehörten sie zu einer Feriensiedlung, die jemand mitten im märkischen Flachland abgesetzt hat.

Oliver Elser

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