17. 8. 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung / Berliner Seiten

Rost am Stahl

Simon Ungers bei Aedes-West

Rostiger Stahl ist nicht zwangsläufig ein Zeichen industrieller Melancholie und drohender Verrottung. Seit Architekten mit Corten experimentieren, einem speziellen Stahl, der sich durch seine Rostschicht schützt, hat es zwar immer wieder Fehlgriffe gegeben, von denen die "Rostlaube" der FU das prominenteste Beispiel ist, doch die Faszination eines sich selbst gegen Umwelteinflüsse abpanzernden Materials hat daran keinen Schaden genommen.

Auch Simon Ungers arbeitet mit Corten. Er ist Architekt und Künstler. Corten gibt ihm die Möglichkeit, seine Bauwerke in seinem Zustand der Rohheit zu belassen, ohne die unter Architekten so verpöhnten Verblendungen, Verkleidungen und Versiegelungen. Bisher hat Ungers nur wenige Bauten realisiert, sich mit seinem stählernen, T-förmigen Wohnhaus aber einen festen Platz in der Generation der um 1960 geborenen Architekten gesichert. Das Haus wurde in der Werkstatt vor-fabriziert und mußte an Ort und Stelle, einem bewaldeten Hanggrundstück im US-Bundesstaat New York, nur noch zusammengefügt werden. Die stählerne Konstruktion ist in diesem Entwurf das exakte Gegenteil jenes filigranen Geflechts, das die Architekten der Moderne beflügelte, ihre Häuser mittels Stahlprofilen aus "fast nichts" zu bauen. Ungers zelebriert den Stahl als unverwüstliche Oberfläche, verwendet ihn flächig und verleiht dem Haus damit eine enorme Wucht. Wie ein riesiger Amboß steht es mitten in der Natur und scheint gelassen auf Kräfte zu warten, die es mit ihm aufnehmen könnten.

Auch sein Entwurf für das "Denkmal für die ermordeten Juden Europas", mit dem er 1995 einen der zwei ersten Preise errang, war wuchtig, sperrig und erregte die Gemüter fast ebenso stark wie die gigantische Grabplatte von Christine Jackob-Marks. Weniger bekannt ist Ungers' Beitrag zum Wettbewerb für den deutschen Expo-Pavillon in Hannover. Die riesige Stahlform erinnerte an Konrad Klapphecks monumentalen Gemälde technischer Apparate und stellte den Betrachter bei aller Massivität und dröhnendem Selbstbewußtsein vor die Frage, ob das wirklich Architektur, oder vielleicht doch nur eine polemische Zeichnung ist.

Die bei Aedes am Savignyplatz heute abend eröffnende Ausstellung dürfte ähnliche Fragen provozieren. Ungers präsentiert acht architektonische Skulpturen, die mit jeweils einem Plan, einem Schnitt, einer Perspektive, einem Titel und einem Modell aus Stahl von sich behaupten, idealtypische Entwürfe für ein Schwimmbad, ein Theater, ein Bürohaus, ein Museum und andere Bauaufgaben zu sein. Zugleich wird im Erweiterungspavillon von Aedes-East eine Lichtskulptur gezeigt. Ein Vergleich mit dem Werk seines Vaters, Oswald Mathias Ungers, drängt sich bei dieser architektonischen Kraftanstrengung unweigerlich auf. Auch im Werk des Seniors spielen typologische Studien eine beträchtliche Rolle dabei, der Architektur auch ein geistiges Fundament zu bereiten.

Während die Haustypen von Oswald Mathias Ungers aber unter dem Einfluß der Postmoderne entstanden und sich entsprechend stark an historischen Vorbildern orientierten, verfolgt Simon Ungers eine andere Strategie. Nicht die Wieder-Aneignung von Geschichte als Fundus der eigenen Baupraxis, sondern das Herausarbeiten radikaler Architekturformen für eine jeweils sehr spezifische Bauaufgabe scheint sein Ziel zu sein. Sollten die Modelle eines Tages Wirklichkeit werden, wäre Simon Ungers zu wünschen, dass er als Künstler distanziert genug ist, um in den Niederungen des Bauens nicht die Kraft der Entwürfe zu verlieren.

Oliver Elser

Simon Ungers: Ferreous Forms Aedes West Savignyplatz S-Bahnbogen 600 10623 Berlin

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