23. 5. 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung
Parzellen der Viererbande
Marmor, Stein und Tristesse sticht: Berlins Leipziger Platz
Die Infobox ist abgeräumt, am Leipziger Platz herrscht wieder gähnende Leere. Noch bedarf es einiger Phantasie, sich die achteckige Form des wiederhergestellten Platzes vorzustellen, der in seiner umschlingenden Geste irgendwann vielleicht das Pendant zu den unterschiedlich prächtig erigierten Hochhäusern am benachbarten Potsdamer Platz bilden könnte. Gegenwärtig säumen vier bereits fertiggestellte Gebäude das imaginäre Oktagon. Zu je zwei Paaren schmiegen sie sich aneinander, als müßten sie befürchten, allein auf sich gestellt einfach umzufallen wie die Kulisse einer Westernstadt. Oder vor Scham in der nächsten Baugrube zu versinken. Denn die vier sind an diesem Platz zwar als erste angekommen, ihre Architektur aber ist Jahre zu spät. Mit einer Ausnahme weist sie zurück auf die unselige Debatte über "steinerne Häuser", die in Berlin bald nach dem Mauerfall einsetzte und der Stadt ein solides Mäntelchen für dubiose Immobilienspekulationen verordnen sollte. Mittlerweile sind in Berlin jedoch genug "steinerne Häuser" entstanden, um beurteilen zu können, wann diese sehr spezielle Vorliebe Berliner Architekten zu qualitätsvollen Ergebnissen führt und wann nicht.
Als erstes entstand an der Nordseite des Platzes das Mosse-Palais, ein säulenverblendeter Bürobau, der weniger durch seine Gestaltung von sich Reden machte, als dadurch, daß sein Auftraggeber die erlaubte Anzahl an Geschossen im mittleren Teil großzügig nach oben erweiterte, wodurch das Haus als "Schwarzbau" zu fragwürdigen Ehren kam. Danach war es jahrelang verhältnismäßig still am Leipziger Platz, bis in einem Wettbewerb 1998 gleich über mehrere Grundstücke entschieden wurde. Von diesem Zeitpunkt an standen zwar die Architekten fest, paradoxerweise aber noch nicht in allen Fällen die späteren Hausbesitzer, weil nun die bis dahin federführenden "Projektentwickler" versuchten, die Grundstücke samt Architektenplanung und baurechtlichem Einverständnis der Stadt meistbietend weiterzuverkaufen. Es liegt auf der Hand, daß bei jeder Transaktion der Preis der Parzellen in die Höhe schnellt und am Ende an der Architektur gespart werden muß, um noch den gewünschten Profit aus den Gebäuden zu ziehen.
Zum Beispiel das Haus an der Ecke zur Leipziger Straße: Die für Projektentwicklung zuständige Tochterfirma des Baukonzerns Züblin verkaufte zuerst an die Immobilientochter der Versicherungsgruppe Axa und diese dann weiter an den gegenwärtigen Besitzer, den Pensionsfonds der Hamburger Ärztekammer. Wem die Kombination der Begriffe Hamburg, Arzt und Pensionskasse wie der Inbegriff der Gediegenheit erscheint, der irrt leider gewaltig. Dem großspurig "Palais am Bundesrat" getauftem Haus ist deutlich anzusehen, daß es vor allem billig sein mußte. Es wäre zu wünschen, daß hanseatische Ärzte auf Berlin-Besuch einmal vor Augen geführt bekämen, aus welchen Quellen ihre Rente gespeist wird. Doch dem Haus fehlt jeder Hinweis auf den Eigentümer.
Das alles ist zwar im Immobiliengeschäft nichts ungewöhnliches, doch hier kollidiert noch zusätzlich der Sparkurs der Auftraggeber mit den Ambitionen des Architekten Walter A. Noebel, der wie gewohnt ein weiteres Werk der berüchtigten "Berliner Tektonik" zu verwirklichen versuchte. Eine Fassade jedoch, durch deren offene Fugen der Wind bläst und die so flach geraten ist wie eine Computerzeichnung, kann unmöglich den ersehnten Eindruck von Massivität erzeugen. Auch das Foyer, in dessen Minimalmaßen ein Maximum an poliertem Naturstein verbaut wurde, ist ein trauriger Ort des Scheiterns. Nicht nur an äußeren Zwängen, denn niemand hat den Architekten gezwungen, unbedingt auch dort seinem Hang zu klassischer Formensprache zu folgen, wo weder Geld noch Raum vorhanden sind. Spätestens auf den Bürofluren ist die Einflußnahme bei einem Bau wie diesem ohnehin zuende. Die Mieter entscheiden selbst, heißt es, aber anscheinend reicht das Spektrum der denkbaren Alternativen nur von dunkelblauer bis hin zu dunkelgrauer Auslegware, die unter den immergleichen niedrigen Abhängdecken in fahlem Energiesparlampenlicht abgewickelt wird.
Auch gegenüber, an der Seite des Mosse-Palais, ist in den vergangenen Monaten ein Haus in den Himmel gewachsen, das unverkennbar der Kühlschrank-Ästhetik der "Berlinischen Architektur" verpflichtet ist. Jan Kleihues, Sohn und mittlerweile Partner der Berliner Lokalgröße Josef Paul Kleihues, hat es zunächst für ein Unternehmen der DG-Bank entworfen, die es dann an den Pensionsfonds der Firma Hoechst verkaufte. Die spärlich von Fenstern durchbrochene Fassade ist derart steinverliebt gestaltet, das der Eindruck entsteht, der Architekt hätte am liebsten ganz auf das Tageslicht für die dahinterliegenden Büroräume verzichtet.
Daß es auch anders geht, selbst dann, wenn unbedingt "Berlinische Architektur" auf dem Programm stehen soll, dafür gibt es längst Vorbilder. Hans Kollhoffs graues Europa-Haus am Rand des Pariser Platzes oder die kleine KPMG-Verwaltung von Christoph Mäckler in der Taubenstraße (FAZ vom 6.8.1999 und 26.11.1998) dürfen den Anhängern einer eher luftigen Architektur zwar immer noch wie Steine im Magen liegen, doch es sind Gebäude, die außen wie innen ihr Ziel mit hohem Anspruch und einer gewissen Gelassenheit verfolgen, und von den ersteres sogar auf Rechnung einer Immobilienfirma erstellt wurde.
Der unmittelbare Nachbar des Noebel-Gebäudes am Leipziger Platz ist eines jener seltenen Beispiele. Axel Schultes und seine Partnerin Charlotte Frank errichteten für die Berliner Anwaltskanzlei Knauthe Paul Schmitt ein Bürogebäude, das sich nicht nur in der Fassade vom inspirationslosen Epigonenstil seiner Umgebung abhebt. Schultes und Frank kam dabei zugute, daß die Auftraggeber ihnen nicht den Terror der Flexibilität verordneten, der jeden Bürobau zur Strecke bringt. Üblich ist es, sogenannte Zellenbüros käfigartig an beiden Seiten eines düsteren Ganges aufzureihen. Hier aber sind die Büros der Anwälte und Sekretärinnen in einem weiten Halbkreis angeordnet. Statt am Knickpunkt des Büroflures auf den obligatorischen Ficus Benjamini aus Plastik zu stoßen, wird der Besucher in sanftem Schwung durch das Gebäude geführt. Das satte Rot, das ihn dabei begleitet, entspricht zwar nicht den Vorstellungen der Architekten, zeigt aber, wie bereichernd es sein kann, wenn auf Bauherrenseite jemand da ist, der ästhetisches Urteilsvermögen besitzt.
Auf der Rückseite zeigen Schultes und Frank, was in Berlin ohne das strenge Reglement geschlossener Häuserfronten möglich wäre. Wo es außer den anderen Hinterhofanrainern niemand genießen kann, bringen sie die Balkone der vier Wohngeschosse zum tanzen und stellen vor den Bürokasten einen aufgeschnittenen Zylinder, der für jede der Anwaltsetagen einen Konferenzraum bereithält. Der Turm mit den Besprechungsräumen ragt aus einem Glasdach empor, das den rückwärtigen zweigeschossigen Teil des Gebäudes überspannt. Hier ist man geneigt, zu vergessen, daß es sich um eine private Investition handelt, denn seine Großzügigkeit verleiht diesem Lichthof fast den Charakter eines öffentlichen Gebäudes. Konsequenterweise liegen dort auch zwei der öffentlichsten Bereiche des Hauses, der große Konferenzsaal und die Bibliothek, verbunden durch eine geschwungene Treppe, die mittlerweile zu den Markenzeichen der Architekten zählt. Die im Bundeskanzleramt oft gequält wirkende Formensprache entfaltet sich unter den Bedingungen der freien Wirtschaft erstaunlich zwanglos.
Auch dieses Haus hat seine Schwächen. Viele Übergänge sind lieblos gestaltet und ein Eingang ist bisweilen einfach ein Loch in der Wand. Aber es ist zugleich voller Antworten auf die Misere des Bürobaus.
Die von den Berliner Bauvorschriften geforderten Wohnetagen stehen dem in nichts nach. Zwar dürfte der exzessive Gebrauch der Farbe grünmetallic einige Mieter abschrecken, doch der Ausblick in beide Richtungen durch die riesige Fenster zählt zu den atemberaubendsten, die Berlin wohl gegenwärtig zu bieten hat. Es bleibt zu hoffen, daß nicht irgendwann ein plumpes vis-à-vis vom Schlage des Nachbarn sich in den Weg stellt.
Oliver Elser
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