24. 7. 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung / Berliner Seiten


Peking-Ente am Bikini-Haus

Das Bikini-Haus, jener langgestreckte Bau an der Gedächtniskirche, dem leider irgendwann das Luftgeschoß, und damit die aufreizende Zweiteiligkeit abhanden kam, stammt aus einer Zeit, als West-Berlin noch von sich behaupten konnte, eine der modernsten Metropolen der Welt zu sein. 1957 wurde es eingeweiht. Sein Erdgeschoß bildete die wohl längste Schaufensterreihe der Stadt und in den Glasfassaden der darüberliegenden Stockwerke spiegelten sich die Leuchtreklamen, die den Breitscheidplatz bei Nacht in Berlins Piccadilly-Circus, in den deutschen Times-Square, in die letzte Amüsiermeile vor dem Reich der Finsternis verwandelten. Bikini, das klang in den fünfziger Jahren nach Sonne, Urlaub und Wasserstoffbombe, die auf dem gleichnamigen Südseeatoll zum ersten Mal getestet wurde und es ist vielleicht kein Zufall, daß einer der Architekten, Hans Schoszberger, diverse Artikel über das Bauen im Atomzeitalter verfaßte. Heute ist unter den Kolonnaden des Bikini-Hauses kaum noch etwas vom elektrisierenden Glanz des Gebäudes spüren. Hier werden Bücher, Döner und Identitätspartikel einer längst im Kommerz untergegangenen Jugendkultur verramscht. Wer sich für seinen Rausch dort ein T-Shirt mit aufgedrucktem Cannabisblatt kaufen muß, dem ist nicht mehr zu helfen. Ganz am Ende des Säulengangs aber wartet Harald Juhnke mit einer freundlichen Geste. Er trägt Jackett, Hemd, Strickkrawatte und einen gelben Feinstrickpullover mit ziemlich ausgeleiertem Kragen. Dazu passend wahrscheinlich lässige Schlaghosen, was aber nicht zu sehen ist, denn Juhnke sitzt an einem Tisch, auf den ihm jemand eine Peking-Ente gestellt hat. Er hat noch nicht begonnen, sie mit den Stäbchen in seiner Rechten zu zerteilen. Sein linker Zeigefinger deutet auf das Tier, der Daumen sagt "O.K." und die übrigen Finger weisen in Richtung Magengegend. Das Bild hängt in einem Leuchtkasten, der um die letzte Stütze des Bikini-Hauses herumgeschlungen ist und dazu einlädt, das "Tai-Tung" im ersten Stock zu besuchen. Die Dichte chinesischer Restaurants ist hier recht hoch, gleich vis-à-vis, über dem Sexshop von Beate Uhse, ist das Nächste. "Tai-Tung" aber gibt es schon seit 1957. Es wurde von einem deutsch-chinesischen Paar eröffnet, dessen Sohn, Hsiao Tien-Wen, es mittlerweile übernommen hat. Das Bild im Leuchtkasten entstand einige Jahre nach der Hochzeit Harald Juhnkes mit Hsiaos Schwester Susanne. Die Angestellten in dem halbleeren Lokal freuen sich, auf den berühmten Verwandten ihres Chefs angesprochen zu werden, auch wenn es wenig erfreuliches zu berichten gibt. Herr Juhnke sei schon lange nicht mehr dagewesen, aber sein Sohn Oliver komme öfters mit Freunden zum Essen. Er hoffe, fügt der Geschäftsführer später hinzu, dass sein Schwager sich wieder erhole. Alle fünf Jahre müsse von dem Dia ein neuer Abzug gemacht werden, da sich die Folie unter Lichteinwirkung zersetzt, fünfhundert Mark koste das jeweils. Davon ist momentan noch nichts zu sehen, nur die Farben haben bereits jetzt einen Stich, was sich besonders an der starken Rotfärbung von Juhnkes Gesicht bemerkbar macht.

Oliver Elser

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