21. 9. 2000 | Frankfurter Allgemeine Zeitung


Raumstationen oder Riesenbrüste

Das Bauhaus Dessau diskutiert, was Sie schon immer über "Event Cities" wissen wollten

Dessau ist nah bei Amerika, das galt schon zu Gropius' Zeiten. Von der Übersiedlung des Bauhauses aus dem beschaulichen Weimar in die Industriestadt Dessau und besonders von der Nachbarschaft zu den dortigen Junkers-Werken versprach sich der Bauhaus-Direktor die ersehnte Nähe zur Industrie. Nur auf amerikanischem Wege, durch Rationalisierung und Fließbandproduktion, schienen für Gropius und viele seiner Mitstreiter die Probleme der Zeit, allen voran den Wohnungsmangel, lösbar zu sein. "Fordschritt" sei das Credo der Zeit, nannte das Kurt Tucholsky.

Die Resultate ließen einige Jahrzehnte auf sich warten, brachen dann aber mit umso größerer Wucht über die Welt herein. "Gropius-Städte" gab es bald überall, in Ost und West, an den Rändern und in den planierten Zentren. Selten gelang es, ein Gleichgewicht zur traditionellen Stadt zu bewahren, deren Vorzüge erst in den siebziger Jahren wieder entdeckt wurden. In Dessau, wo die entfesselte Plattenbauproduktion den Stadtkern fast völlig aufgezehrt hatte, war es dafür zu spät. Nach der Wende bescherte ein Investor der Stadt einen amerikanischen Exportschlager in Gestalt einer Shopping-Mall, die nun wie eine Festung im Niemandsland steht und der Umgebung den Hintern, sprich: die LKW-Anlieferung, zuwendet.

Vor dem Hintergrund dieses lokalen Trauerspiels hätte es von einiger Brisanz sein können, wenn das heutige Bauhaus bei seinem Versuch einer globalen Perspektive unter dem Titel "Event Cities" den Mann nach Dessau einlädt, dessen Name seit den achtziger Jahren geradezu als Synonym für diesen Bautypus steht: Jon Jerde aus Los Angeles, Architekt der größten Mall der Welt und derzeit wohl der weltweit begehrteste Fachmann, wenn es darum geht, Shopping und Entertainment zu einem Event zu verbinden. Während am Vormittag der Tagung noch eher zaghaft beschrieben wurde, was die Kennzeichen einer "Event City" sein mögen, hielt sich Jerde nicht lange bei der Theorie auf, sondern spulte seine Projekte herunter, die, wie er sagte, der einzige in Amerika noch mögliche Versuch seien, Bauten für die Gemeinschaft zu errichten. Nach wenigen Bildern hatte Jerde gezeigt, dass seine "Malls" etwas ganz anderes sind, als der bloß vergrößerte Nachbau der in Paris entwickelten und in Mailand zur Perfektion gebrachten Passage des neunzehnten Jahrhunderts. Seine Projekte erinnerten nicht alleine in der Darstellung an die Zeichnungen von Raumstationen gigantischen Ausmaßes, die den Heranwachsenden in den siebziger Jahren begleiteten. Sollte Jerde diese Entwürfe realisieren, werden schon bald Welten entstehen, die bisher nur in den Traumvisionen von hängenden Gärten und vertikalen Städten existierten. Ein ganzes Arsenal von Architektur-Utopien, von Piranesis Kerker-Bildern über die Kugel-Häuser der Revolutionsarchitektur bis hin zu den autarken Weltraumstädten, packt Jerde ohne zu zögern in ein einziges japanisches Entertainment-Center. Und er hat ein halbes Duzend davon in Arbeit. Manche Entwürfe würden, ein wenig trashiger dargeboten, sofort als Arbeiten des niederländischen Avantgarde-Architekten Rem Koolhaas durchgehen, denn ihre verschlungenen Hohlräume folgen hochkomplexen Geometrien.

Bisher allerdings sind Jerdes Shopping-Malls, von einer Ausnahme in Fukuoka, Japan, abgesehen, recht biedere Variationen des sattsam bekannten Themas, mehr Disneyland als eigene architektonische Schöpfung. Sie wurden fast ausschließlich in der Innenstadt errichtet und reagierten damit auf Entwertung und Verfall der einstmals zentralen Lagen. Jerde konnte bei der anschließenden Podiumsdiskussion deshalb mit gewissem Recht die Rolle des Pioniers einnehmen, der den in ihren Vorortsiedlungen dahinlebenden Amerikanern wieder das Erlebnis einer größeren Menschenmenge verschafft habe. Für viele sei es das erste Mal in ihrem Leben gewesen, fügt er mit seiner Whiskeystimme hinzu und man glaubt ihm sofort, dem Mann mit dem orangekarierten Hemd unter dem grauen Anzug und dem zerknitterten Farmergesicht. Die Sorge um seine Landsleute ist ihm ein ernstes Anliegen.

Anna Klingmann hingegen schien außer ihrer Karriere als junge Architektin alles ziemlich egal zu sein. Vor dem Amerikaner Michael Sorkin hielt sie den zweiten Architektur-Vortrag des Nachmittags und stellte darin ihr Konzept einer "Brand Architecture" anhand ihrer mittlerweile eingefrorenen Planung für die Adidas-Firmenzentrale in Herzogenaurach vor. Am Beginn stand die Beobachtung, dass immer mehr Orte der Stadt von Konzernen angeeignet würden, sei es das Sony-Center oder Nike-Town in Berlin, ohne dafür aber eine neue Architektur zu entwickeln, die es mit der Innovation eines zeitgenössischen Turnschuhmodells aufnehmen könnte. Ihre architektonische Antwort in Gestalt mehrerer blasenförmiger Objekte erinnerte stark an die berühmte Wander-Titte aus Woody Allens "Was Sie schon immer über Sex wissen wollten". Diesen Formen läge der Wunsch zugrunde, endlich den ganzen Ballast des traditionellen und nationalen Denkens zu überwinden, das in Europa immer noch dominant sei. Adidas sei eine Weltmarke, die nicht lokalisiert werden könne und warum sollte es dann die Architektur nicht auch sein? Auf den vorsichtigen Einwand, ob sie sich da nicht zu sehr in die Arme des Investors begeben habe, folgte nur ein Achselzucken. Michael Sorkin stimmte ihr zu, dass die Leute schließlich die Wahl hätten, in eine derart hermetische Firmen-Fitness-Welt einzutauchen oder nicht. Ein Problem entstünde erst, wenn es keine anderen Orte mehr gäbe, worin er allerdings eine reale Gefahr sähe. Seine eigenen Projekte, bislang nur Papierarbeiten, präsentierte er deshalb als offene Strukturen, die den Gedanken an totalitären Zwang erst gar nicht aufkommen lassen.

Ob nun der behauptete Event im shoppen oder joggen besteht und welche Auswirkung dieses auf die Zukunft der Städte hat, wobei die Erfahrungen in Dessau hier schon einiges lehren könnten, sollte und konnte auf der Konferenz gar nicht erschöpfend geklärt werden. Die neu installierte Bauhaus-Akademie wird sich ein ganzes Jahr mit diesem Thema beschäftigen und dazu, der Soziologe Walter Prigge wies eindringlich darauf hin, noch einiges an Theoriearbeit zu leisten haben.

Oliver Elser.

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